Der Sturm
von einem Wassergraben umgeben war. Ronny setzte seinen rostigen Toyota auf dem Innenhof des Schlosses zwischen einen offenbar neuen, metallic-grauen Audi A 6 Allroad und eine Harley Davidson Nightster, die so schwarz war, dass sogar die Blinker schwarz getönt waren. Lorenz stieg aus, ignorierte die Fahrzeuge, blickte zurück auf Graben, Brücke und Anfahrt und schüttelte den Kopf:
»Unglaublich, eine Wasserburg auf einem Berg, auf den hinauf eine Straße führt, die Giganten gebaut haben müssen. Hier müssen ja reichlich durchgedrehte Leute leben.«
Die Tür in der Mitte des Turms, der die Mittelachse des Schlosses bildete, öffnete sich. Heraus trat ein großer, muskulöser, braungebrannter Mann mit langen, nach hinten gekämmten grauen Haaren und dunkelblauen Augen. Er ging mit schnellen Schritten auf sie zu.
»Willkommen auf Ekeby Gård. Ich bin Wilhelm af Sthen. Ihr könnt mich gern ›Wille‹ nennen. Das tun alle anderen auch.« Wilhelm af Sthen sprach Englisch. »Du musst Lorenz sein«, sagte er und gab dem Deutschen die Hand, »und du Ronny.« Ronny erhielt einen kleinen Boxhieb in den Bauch, der gerade fest genug war, um zu schmerzen.
»Darf ich gleich etwas fragen«, sagte Lorenz. »Was ist das für eine Rampe, über die wir hergekommen sind?«
»Die Zufahrt zum Schloss. Sie entstand über ein halbes Jahrhundert hinweg, beginnend um 1800 «, sagte Wilhelm af Sthen, »einer meiner Vorfahren hatte die Idee, den armen Bauern hier in der Gegend eine Arbeit zu geben, die sie und ihre Söhne über viele Jahre beschäftigte, aus keinem anderen Grund als dem, ein prächtiges Bauwerk zu errichten. Bei den Bauern hier in der Gegend soll es den Spruch gegeben haben: ›Vore inte herremannen galen, så hade ej fattigman bröd‹ – ›Wäre der Herr nicht verrückt, hätte der Arme kein Brot‹. Jeden Morgen mussten die Bauern als Erstes einen großen Stein abliefern, fünfzig Jahre lang. So erfuhren sie etwas über den Sinn des Lebens.« Wilhelm lachte.
Lorenz war irritiert, redete hektisch auf Wilhelm ein und gestikulierte noch, während man ins Haus trat.
»Hier unten liegen die früheren Wirtschaftsräume«, sagte Wilhelm. »Die Küche haben wir behalten, aber ansonsten arbeitet jetzt hier die Zentrale.« Er wies in einen großen, langen Raum mit langen Tischen, auf denen Dutzende von Bildschirmen standen. An der einen Wand entlang erstreckte sich ein großes, mehrteiliges Rack, auf dem zahllose kleine Leuchten flackerten. Hier steckten mindestens hundert Hosts. Am hinteren Ende des Raums stand ein Koloss von einem Kerl, ein junger Mann mit kahlgeschorenem Schädel und der Figur eines Gewichthebers, in Jeans und Lederjacke. Er hatte die Arme verschränkt und schaute geradeaus ins Leere.
»Ihr müsst euch nicht fürchten«, sagte Wilhelm, »das ist nur Olle, der Sohn der Haushälterin. Er spricht nicht viel. Denken tut er übrigens auch nicht. Aber er ist gutmütig.« Ein Aufenthalt in diesem Saal der Technik war nicht vorgesehen, Wilhelm ging voran zur großen Treppe und stieg hinauf in den ersten Stock.
»Hast du das gesehen?«, flüsterte Lorenz seinem neuen, alten Freund zu, »das reicht an Rechenkapazität, um die halbe NASA zu versorgen. Und eine eigene Security hat er auch.«
Als Wilhelm mit seinen Gästen den großen Salon erreicht hatte, steuerte er auf ein kleines Gemälde zu, das zwischen zwei Fenstern hing. Es zeigte einen jungen Adligen des späten achtzehnten Jahrhunderts, mit offenen Zügen, hohem Kragen und einem um den Hals gebundenen weißen Tuch.
»Das ist Alexander af Sthen. Mein Vorfahr. Als König Gustav III . sich auf die Seite von Ludwig XVI . stellte und nach der Revolution sogar in Frankreich einmarschieren wollte, als dieser Wahnsinnige dann, als er dafür von Preußen und Österreich keine Unterstützung bekam, einen sinnlosen Krieg gegen Norwegen anzuzetteln begann, bloß weil er auch ein Feldherr sein wollte, widersetzte sich dieser Mann. Der schwedische Adel war damals gegen die Monarchie und für das Volk. Alexander war auf Seiten der französischen Revolutionäre. Er organisierte das Attentat auf Gustav III ., im Jahr 1792 , und er musste, nach dem Tod des Königs, in die Niederlande ins Exil gehen, wo er sich als Musiker und Hauslehrer durchschlug, bis er dort starb, fast dreißig Jahre später. Alexander, das ist mein Mann.«
Wilhelm hatte sich in Erregung geredet, und seine beiden Besucher schauten sich ein wenig hilflos im Salon um, als die Tür aufging
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