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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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ließen ahnen, dass sehr viel getrunken worden war und es wahrhaft anarchisch zugegangen sein musste. Als die Tagung wieder begann, am nächsten Morgen, eine halbe Stunde nach der angesetzten Zeit, war die Stimmung jedenfalls abgeklärt müde, entschlossen sachlich und konstruktiv. Lorenz hielt sein Referat, das im Wesentlichen dem Vortrag entsprach, den er schon an der Columbia University gehalten hatte. Dieses Mal erhielt er allerdings heftigen Beifall, vor allem ob seiner radikalen Zweifel an der Vernünftigkeit der großen ökonomischen Lehren. Es bildete sich, am Ende der Konferenz, sogar eine Art Konsens heraus: Es müsse eine neue Aufklärung geben, hieß es, eine geistige Bewegung, die mit einem absoluten Willen zum Wissen die Bedingungen von Wirtschaft und Politik definierte. »Es wird Sturm geben«, sagte Wilhelm immer wieder, in alle Mikrophone, und es gab viele, »wenn wir überleben wollen, werden wir unsere Häuser befestigen und die Fenster vernageln müssen. Es kommt etwas auf uns zu, ein Unwetter, wie wir es noch nicht erlebt haben.« Fast schien es so zu sein, als duckten sich die Teilnehmer der Konferenz schon einmal vorsichtshalber.
    In Wilhelms abschließender Rede war aus diesem Bedürfnis bereits das Programm einer Partei geworden, das er vor den Kameras des schwedischen Fernsehens in flammenden Worten in die Welt trug. In allen großen Städten der westlichen Welt, sagte er, gebe es eine neue Bewegung, in Schweden verfüge man schon über eine politische Organisation. Jetzt trete etwas Neues in die Geschichte. Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums, nein, zum ersten Mal seit den Revolutionen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts sei nun deutlich, dass es eine Welt auch jenseits das Kapitalismus gebe. Dafür gelte es jetzt zu arbeiten, für die Welt nach dem Sturm. Schon im kommenden Jahr, bei den nächsten Wahlen zum schwedischen Reichstag, wolle man dafür mit einer eigenen Partei kandidieren.
    »Ich wäre ja mit allem einverstanden«, sagte Lorenz zu Ronny, »nur eine Sache macht mich so misstrauisch.«
    »Welche?«
    »Dass Richard Grenier, der Mann von dieser Sicherheitsfirma in New York, dem guten Wille seit zwei Tagen nicht von der Seite weicht. Der Mann lebt doch von den Ursachen der Finanzkrise. Was hat er beim schärfsten Kritiker der Finanzwirtschaft zu suchen? Bei jedem Essen saßen sie nebeneinander. Er folgte Wille wie ein Schatten.«
    »Vielleicht will er vom Gegner lernen, kann doch sein, oder?«

Vierunddreißig
    Pelle Larsson hatte bei Ronny Gustavsson angerufen, in der Redaktion. Er möge doch bitte so bald wie möglich zu ihm ins Büro kommen, nach Kristianstad, um ein Notebook zu identifizieren, das womöglich seines sei. Man habe da auch noch ein paar Fragen an ihn, wegen des Täters. Schon am Tag darauf machte sich Ronny auf den Weg.
    Es war Herbst geworden. Die Blätter hatten sich verfärbt und waren oft schon abgefallen, obwohl es noch mild war. Ein süßsaurer Geruch nach faulendem Laub lag in der Luft, und manchmal hörte – und sah er –, wie Scharen von Wildgänsen, mit ihren klagenden Rufen, zur »1« formiert, nach Süden zogen. Ronny wusste nicht recht, ob er sich über den wiedergefundenen Computer freuen sollte, so viel Vergnügen hatte ihm die neue Maschine schon bereitet. Und – konnte ein Gerät, das einmal bei einem anderen Menschen gewesen war, überhaupt wieder seines werden?
    Im Autoradio lief »Dagens Eko«, das Nachrichtenprogramm des schwedischen Rundfunks, und brachte eine Reportage über den enormen Zulauf für Wilhelm af Sthens Partei aus allen Schichten der Bevölkerung. Wären jetzt Wahlen, zeigten neueste Umfragen, könnten die »Freibeuter« mit neun Prozent der Stimmen rechnen, vielleicht sogar mit mehr. Eine Reporterin fragte Passanten, einen Studenten, eine Irakerin, die in Stockholm Asyl erhalten hatte, einen Arbeiter, eine Rentnerin – alle waren der Meinung, dass es höchste Zeit sei, die Welt vor den Banken und ihren Spekulationen zu retten. Nur ein pensionierter Offizier war der Ansicht, man solle verantwortungsloses Handeln nicht mit dem Bankwesen schlechthin gleichsetzen, und überhaupt müsse man die Schuld bei den Politikern suchen, vor allem bei den sozialdemokratischen, die dieses unermessliche Schuldenmachen erst ermöglicht hätten.
    Am Schluss der Reportage durfte auch Wilhelm wieder ein paar Worte sagen.
    »Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche«, erklärte er, »die Politik, so wie wir

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