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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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ist!«
    Benigna wurde erst fahl, dann leichenblass, und einen Augenblick später stürzte sie zur Tür hinaus. Ronny schaute noch einmal zurück auf den Freiherrn, den letzten Nachkommen eines berühmten Attentäters, den Stolz des schwedischen Adels, wie er da mit zerschlagenem Gesicht am Küchentisch wankte und in der Luft herumfuchtelte. Dann war auch Ronny verschwunden.
    Auf der Heimfahrt redeten die beiden kein Wort. Benigna musste langsam fahren, denn es schneite jetzt heftiger, und auf den Straßen lag eine geschlossene Schneedecke. Benigna hatte die Ohren ihrer russischen Mütze heruntergeklappt. Zurück in Osby, endlich allein in seiner Wohnung, schaltete Ronny seinen Rechner an. Eine E-Mail war aus der Zentralredaktion gekommen. Man rechne morgen mit einem Bericht über den Sturm auf Ekeby Gård. Es sei ja bestimmt interessant gewesen. Die zweite Mail hatte Pelle Larsson offenbar von der Adresse seines Sohnes aus geschickt. Sie enthielt den Scan des Manuskripts, das die Polizisten auf der Rückbank des BMW gefunden hatten. Ronny war aber viel zu müde und viel zu niedergeschlagen, um mit dem Lesen zu beginnen.

Fünfundvierzig
    Am folgenden Morgen war Ronny Gustavsson erst gegen elf Uhr, kurz vor der allgemeinen Telefonkonferenz, in seinem Büro. Er hatte lange geschlafen, und als er aufgewacht war, hatte die Erinnerung an den Tag zuvor wie ein dunkler, schwerer Schatten über ihm gelegen. Es hatte Mühe gekostet und zwei große Becher Kaffee, diesen Schatten halbwegs abzuschütteln. Er hatte nicht einmal Musik hören wollen, und das geschah selten. Langsam war er in sein Büro hinübergegangen, missgelaunt, unwillig, sich heute noch einmal mit Ekeby Gård zu beschäftigen. Er machte sich noch einen Kaffee und schaltete das Radio an, der Nachrichten wegen.
    »Wilhelm af Sthen, Gründer und Sprecher der ›Freibeuter‹, zieht sich mit sofortiger Wirkung aus allen öffentlichen Funktionen zurück«, hieß es an erster Stelle. »Wie er heute Morgen den Medien mitteilte, hat der Sturm ›Olga‹, der am vergangenen Wochenende über Südschweden zog, große Teile seiner Wälder zerstört. Es sei nun seine Pflicht, erklärte er, sich in erster Linie um das Erbe zu kümmern, das ihm seine Familie in die Hände gelegt habe. Wilhem af Sthen gehört das Schloss Ekeby Gård außerhalb von Kristianstad, er ist einer der größten Landbesitzer Schonens.« Ronny wusste sofort, womit er nun zu rechnen hatte. Tatsächlich klingelte nur Sekunden später das Telefon. Mats Eliasson, sein Chefredakteur, war am Apparat und verlangte eine Geschichte für die erste Seite, etwas Romantisches, Bewegendes über einen reichen, berühmten Menschen, der ein großes, kosmopolitisches Leben führe, sich aber in einer Schicksalsstunde entschließe, zu seinen ländlichen Wurzeln und zu seinem väterlichen Erbe zurückzukehren: »Du bist doch gestern da gewesen, bei deinem Freund, dem Freiherrn.« Ronny bekomme die erste Seite für seinen Artikel, mindestens achthundert Wörter. Man habe schon einen Fotografen nach Ekeby Gård geschickt.
    Ronny arbeitete hart, vier Stunden lang. Das Schreiben fiel ihm schwer, denn tief saß der Groll, den er seit dem Abend zuvor gegen Wilhelm af Sthen hegte, einen brutalen, selbstsüchtigen, haltlosen Menschen. Der Artikel, den er schließlich nach Kristianstad schickte, begann mit den Worten: »Was kein Mensch je erreichen konnte, schaffte Olga in einer Nacht. Sie warf einen stolzen Mann zu Boden, und nicht nur ihn, sondern auch seinen Wald.« Dieses Mal dauerte es ein paar Minuten, bis das Telefon klingelte. Mats war wieder am Apparat. »Bist du wahnsinnig geworden«, schimpfte er laut, »das ist doch Satire, was du da schreibst, oder unfreiwillige Komik, da lacht doch die ganze Nation. Du hast noch eine Stunde, um diesen Dreck in Ordnung zu bringen.« Ronny stöhnte auf, versuchte erst gar nicht, sich zu verteidigen, und fing noch einmal vor vorne an: »Als Wilhelm af Sthen vor das Haus trat, das seit fast fünfhundert Jahren seiner Familie gehört, und auf die umgestürzten uralten Buchen gegenüber blickte, traten ihm die Tränen in die Augen.« Eine gute Stunde später schickte er die zweite Fassung des Artikels in die Redaktion. Es blieb still. Ronny wartete eine Weile, dann zog er seine Jacke an und ging hinüber in das Lebenmittelgeschäft, um sich eine Packung tiefgefrorener Fleischbällchen, ein Glas süßsaurer Gurkenscheiben und ein Brot zu kaufen. Im Kühlschrank fand er noch eine Dose

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