Der Sturm
den Fahrersitz ziehen. Hätte sie nur geschrien, Chris hätte sich besser gefühlt. Aber dieser lautlose Schock ließ auch seine Angst größer werden.
Und dann lag sie im Schnee neben ihm. Sie mussten weg vom Wagen. Er musste Julia in Sicherheit bringen. Ohne sich um die anderen zu kümmern, sprang er auf, zog sie am Arm hoch und stolperte durch den tiefen Schnee, bis er ihren Widerstand fühlte.
»Bleib stehen, Chris!«, hörte er sie schreien.
»Nein! Das ist zu gefährlich! Komm!«
»Aber die anderen! Was ist mit den anderen?«
Es war Chris nicht egal, was mit ihnen passierte, aber verdammt, jetzt ging es darum, dass jeder sein eigenes Leben in Sicherheit brachte. Er warf einen Blick über Julias Schulter und konnte erkennen, dass Rose und Benjamin es ebenfalls geschafft hatten, ins Freie zu gelangen.
»Lauft!«, rief er ihnen zu, während er entsetzt verfolgte, wie Flammen sich in Sekundenschnelle durch die Motorhaube des Vans fraßen und das Blech sich bereits unter der Hitze aufblähte. Verflucht, warum rührten sie sich nicht?
»Das Ding kann jeden Moment explodieren!«
»Es ist Debbie, Chris!«, schrie Julia. »Sie ist noch im Wagen.«
Dann rannte sie los, und noch ehe er reagieren konnte, war sie schon beim Van angekommen.
Debbie musste doch nur die Tür öffnen und herausspringen!
Er stieß einen Fluch aus, ehe er kehrtmachte und zurück zum Wagen sprintete, der mit geneigter Motorhaube halb auf einer Böschung zum Stehen gekommen war, gebremst durch einen auf dem Boden liegenden Baumstamm. Die grellen Schweinwerfer des Vans leuchteten gespenstisch zwischen den Bäumen hindurch und in ihrem Schein konnte Chris Debbies leichenblasses Gesicht erkennen und eine Blutspur, die die Scheibe hinunterlief. Debbie musste bei dem heftigen Aufprall gegen das Seitenfenster geschleudert worden sein.
Sie rührte sich nicht.
Die Angst, die in Chris hochstieg, war so groß, dass ihm schlecht wurde. Er wäre schuld, wenn...Oh Gott, sie war doch nicht... tot?
Er war verantwortlich. Er hatte die Kontrolle über den Wagen verloren, hatte die Gefahr des Schnees nicht richtig eingeschätzt, war einfach zu ungeduldig gewesen, wegzukommen.
»Sie atmet«, schrie Rose. »Ich glaube, sie ist nur ohnmächtig. Aber sie kommt da nicht alleine raus.«
Chris erkannte, dass die Tür hinter dem Beifahrersitz eingeklemmt war. Noch immer schlugen Flammen aus der Motorhaube und ein seltsames unheimliches Zischen war zu hören. Wasser rann seine Stirn herunter. Geschmolzener Schnee oder Schweiß? Egal. Die Erleichterung, dass Debbie nur ohnmächtig war, versetzte ihm einen Adrenalinstoß.
»Ben, hilf mir!« Er beugte er sich hinter dem Fahrersitz in das Innere des Wagens, packte Debbie unter den Armen und zog. Mann, ihr Körper war kaum zu bewegen.
»Verdammt, ist das eng hier!« Chris quetschte sich zwischen Rückbank und Lehne des Fahrersitzes und dann schaffte er es irgendwie, Debbie so zu drehen, dass sie auf der Rückbank zum Liegen kam.
»Benjamin, komm her! Nimm ihre Füße und zieh sie langsam raus!«
»Oh Mann, das ist echt gefährlich.« Benjamin klang jetzt mehr als nur nervös. »Der Wagen dampft wie ein verflucht alter Heizkessel.«
»Dann beeil dich!«
Und schließlich bewegte sich Debbies schlaffer Körper tatsächlich. Ihr Kopf schleifte auf dem Rücksitz. Chris hob ihn in die Höhe und gemeinsam mit Ben schaffte er es, das bewusstlose Mädchen aus dem Wagen zu schaffen.
Als ein Schwall kalter Schnee, den der Wind von den Bäumen fegte, Debbies Gesicht traf, kam sie zu sich.
Julia beugte sich über sie und rief: »Tut dir etwas weh?«
Debbie starrte sie verwirrt an.
»Debbie! Tut dir irgendetwas weh?«
Doch statt einer Antwort fragte Debbie mit aufgerissenen Augen: »Was hat er getan, Julia? Erzählst du es mir?«
Aus den Augenwinkeln sah Chris, wie die Flammen die Frontscheibe hochschlugen. Er hörte es knistern und wusste, sie konnte jeden Moment unter der Hitze zerbersten.
Er riss Julia am Arm nach oben und schrie: »Lauf!«
Dann nahm er Debbie unter den Achseln und schleifte sie durch den Schnee, so weit weg vom Wagen, wie es ging. Sie waren nicht weiter als zehn Meter entfernt, als die Frontscheibe in Tausende von Splittern zersprang, die in die Luft geschleudert wurden und sich mit den Schneeflocken vermischten. Glassplitter flimmerten zwischen den Schneekristallen und schwebten langsam nach unten. Und über allem schimmerte rötlich der Schein des Feuers. Flammen schossen in den Himmel.
Weitere Kostenlose Bücher