Der Sturm
denken? Wenigstens einmal?«
Sie hörte auf zu weinen, musterte ihn sekundenlang und dann verzog sich ihr Gesicht ganz langsam zu einem Grinsen: »Du stehst auf meiner Liste, Christopher Bishop.«
Mein Gott, er hätte sie am liebsten gepackt und durchgeschüttelt.
»Okay«, murmelte Benjamin. »Definitiv Totalschaden. So schnell geht das. Ein Schlag auf den Kopf, dein Gehirn hüpft auf und ab und schon hast du keinen Plan mehr.«
Chris richtete sich auf. Es war doch nicht möglich, dass sie nicht in dieses Scheißgebäude kommen konnten. Im nächsten Moment sah er sich bereits um, ging einige Meter den Weg Richtung See, bückte sich und griff nach dem erstbesten Stein am Wegrand. Er hatte mindestens zehn Zentimeter Durchmesser.
»Was hast du vor, Chris?«, fragte Julia.
»Was wohl? Wir schlagen eins von diesen verfluchten Fenstern ein.«
»Aber...«
Bevor Julia den Satz noch fortsetzen konnte, holte Chris bereits aus und schleuderte den Stein gegen eines der Fenster der Seminarräume, die sich an die Empfangshalle anschlossen. Er hörte den Aufprall, doch die Scheibe blieb unversehrt.
Wortlos drehte er sich um, griff nach einem neuen Stein, nahm sich diesmal Zeit.
Wieder ein Wurf. Auch diese Scheibe blieb unversehrt.
Er biss die Zähne zusammen. Ein dritter Stein. Diesmal hielt er direkt auf die riesige Scheibe der Eingangshalle. Ihm doch egal, wenn das gesamte College in Scherben lag!
Der Stein prallte gegen das Glas, ein merkwürdiges Geräusch irgendwo zwischen Klirren und einem dumpfen Dröhnen.
Doch nichts passierte. Keine Kerbe, nicht einmal ein feiner Riss.
»Gib’s auf! Keine Chance!«, hörte er Ben sagen. »Das ist Sicherheitsglas.«
Chris starrte fassungslos auf das Gebäude. Es war nicht möglich, oder? Das hier war das Grace College. Und kein Hochsicherheitstrakt!
Eine ganze Weile lang standen sie da und sprachen kein Wort. Es war Benjamin, der das Schweigen brach. »Die Umkleidekabinen hinter dem Sportcenter. Das wäre eine Möglichkeit.«
»Was ist mit denen?«, fragte Chris gereizt. »Da gibt es doch noch nicht einmal Fenster.«
»Nein, aber Lichtschächte.« Benjamin grinste. »Und die sind nicht verglast, sondern mit einem Gitter abgedeckt.«
»Was du woher weißt?« Julia schaute ihn fragend an.
Ben wischte sich übers Gesicht. Seine Haare sahen vom Schnee merkwürdig verkrustet aus.
»Na ja«, sagte er, keine Spur verlegen. »Als Forster mich im Sommer erwischt hat...«
»Erwischt womit?«
»Spielt das jetzt eine Rolle?«
»Meinst du, wir wissen nicht, was du rauchst?«, fragte Rose schulterzuckend. »Ich frag mich nur immer, wie du hier oben an das Zeug rankommst.«
»Mach dir keine Hoffnung, meine Quelle verrate ich nicht. Jedenfalls hat mich dieses Weichei Forster dem Dean gemeldet und zur Strafe wurde ich dazu verdonnert, die Lichtschächte zu reinigen.«
Rose kicherte. »Sieh mal an! Das hat Mr Cool aber nicht gefilmt, oder?«
Benjamin grinste zurück. »Aber klar doch!« Er klopfte auf seine Kamera, die er in die Tasche gesteckt hatte. »Gab irre Lichteffekte bei dem ganzen Staub.« Er sah Chris an. »Aber das Beste: In den Schächten gibt es Leitern wie bei Schornsteinen. Und die Gitter kann man leicht zu zweit anheben.«
»Du vergisst nur eins.«
Ben sah ihn fragend an. »Und das wäre?«
»Du bist damals von drinnen da rein, oder etwa nicht?«
Benjamin grinste wieder. »Du hast recht. Schätze mal, hier beginnt der abenteuerliche Teil des Ganzen. Wenn wir aufs Dach der Kabinen wollen, bleibt uns nur der Weg über die Schwimmhalle.«
Chris überlegte. Die Schwimmhalle, auf die Ben anspielte, war ein monumentaler Glasbau mit einer Stahlkonstruktion, die an ein gigantisches Klettergerüst auf einem Abenteuerspielplatz erinnerte. Das Ding hatte jede Menge Architektur-preise gewonnen – und jede Menge Mutproben von betrunkenen Studenten hinter sich. Erst vor ein paar Monaten waren zwei Studenten aus dem zweiten Jahr dort abgestürzt. Einer von ihnen hatte sich zwei Rückenwirbel gebrochen und es war immer noch nicht klar, ob er bleibende Schäden davontragen würde.
»Über das Glasdach?«, rief Julia. »Bei dem Wetter? Der Wind fegt euch mit einem Stoß hinunter, wenn ihr überhaupt oben ankommt.«
Chris starrte in den Himmel. Über den Ghost schoben sich weiter schwarze Wolken und der Wind peitschte von den Berghängen ins Tal hinab.
»Wenn wir uns flach auf das Dach legen und uns nur auf dem Bauch weiterschieben, könnte es funktionieren«, überlegte
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