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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Schnee zur Seite.
    Das Schwimmbecken lag etwa acht Meter unter ihm. Es brannte kein Licht in der Halle, doch er konnte vage den gekachelten Boden erahnen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er sich weiter oben befunden hätte, direkt über dem ruhig daliegenden Wasser. Denn wenn er hier einbrach, würde er mit voller Wucht auf den Fliesenboden knallen.
    Benjamin schien das auch bewusst geworden zu sein, denn seine Sprüche waren verstummt.
    Chris presste sich gegen das Glas. Seine Kleidung war völlig durchgeweicht, aber er hatte keine Zeit, die Kälte zu spüren. Beide Hände an den Glasrahmen gekrallt, suchte er Halt auf der Metallkante unter ihm und schob das Bein nach rechts, bis sein linker Arm völlig durchgestreckt war.
    Okay, nun musste er loslassen.
    Eine Sekunde lang hing er in der Luft, verlagerte das Gewicht auf die Füße und schob sich Zentimeter für Zentimeter weiter, bis sich die Fensterkante in seinen Oberkörper bohrte. Und nun? Er warf einen kurzen Blick nach rechts, wo die nächste Metallstrebe nicht mehr als zehn Zentimeter von seinen Fingerspitzen entfernt war.
    Sein Herz schlug nun so laut in seinen Ohren, dass es selbst das Dröhnen des Windes übertönte. Und das war gut so. Er durfte nicht denken. Einfach an nichts denken. Weiter!
    Er ließ die rechte Hand los und...ein kurzer, aber umso kräftigerer Windstoß drückte ihn nach hinten. Mit Sicherheit würde sein Herz gleich zerspringen.
    Oh Gott, er konnte fühlen, wie er in der Luft hing, wie seine Beine zu zittern begannen.
    Halt dich fest!
    Halt dich irgendwo fest!
    Wie durch ein Wunder bekam er die Metallverstrebung tatsächlich zu fassen.
    War das Glück?
    Schicksal?
    Warum wehte ihn der Wind nicht hinunter?
    Warum rutschten seine Beine nicht einfach an den vereisten Metallkanten ab?
    Wäre das nicht normaler, realer, als dass er es tatsächlich schaffte, sich immer weiter vorwärtszubewegen.
    Weil ES das so will.
    Sein Vater hatte in diesem erbärmlichen, entwürdigenden Krankenhausbett gelegen und nur noch sein Körper schien zu funktionieren, während der Verstand sich schon lange auf die Reise gemacht hatte. Eine Reise, die ihn in irgendeine andere Welt entführte, die außerhalb von Chris’ Bewusstsein lag.
    ES.
    Im ersten Moment hatte Chris gedacht, sein Dad meinte mit ES das namenlose Grauen, das Stephen King in seinem Horrorroman beschrieben hatte .
    »Es? Was meinst du damit, Dad?«, hatte er gefragt.
    Und seine Stimme hatte seinen Dad tatsächlich für einen winzigen Moment zurückgeholt, denn er hatte die Augen geöffnet, ihn angestarrt und verwundert gemurmelt. »Das Tal.«
    Chris’ rechte Hand umkrallte mit aller Kraft das Metall, während er sich weiterschob. Er hielt kurz inne, um Luft zu schöpfen. Die eisige Kälte trieb ihm die Tränen in die Augen. Vielleicht war es aber auch einfach nur die Angst.
    Und in diesem Moment sah er den Schatten unten in der Schwimmhalle.
    Er wischte mit der Hand den Schnee zur Seite – und sein Blick fiel auf eine Silhouette unter sich.
    Einer von den beiden Securityleuten!
    Der Mann im dunklen Anzug blieb mit dem Rücken zu ihm stehen und bückte sich zum Becken. Chris konnte nicht sehen, was er tat.
    War das Steve Mason?
    Der Größe nach konnte es sich jedenfalls nicht um Ted handeln.
    Chris klatschte mit der flachen Hand gegen das Glasdach. »He«, schrie er. »Steve! Hier! Hier oben!«
    Doch Steve bemerkte ihn nicht, sondern ging am Rand des Schwimmbeckens entlang Richtung Hauptgebäude.
    Verflucht, dieser Wind pfiff so laut, dass man dachte, jeden Moment platze das Trommelfell.
    »He, hören Sie mich? Steve!«
    Doch es half auch nicht, dass Chris nun mit beiden Fäusten gegen das Glasdach hämmerte.
    Nein, dieser Idiot, dieser Loser ging einfach weiter. He, der schaute nicht einmal nach oben! Mann, da hatten ja sogar diese Monsterfiguren, die es bei McDonald’s zu Kindergeburtstagen gab, mehr Gehirn in ihren Plastikschädeln.
    »Chris«, hörte er Benjamin rufen. »Bist du schon tiefgefroren?«
    Chris blickte nach vorn. Benjamin hatte das Ende des Daches erreicht.
    »Moment! Da unten ist einer der Wachmänner! Steve!«
    Er blickte wieder nach unten. Die Glasfläche war in den wenigen Sekunden, die er abgelenkt gewesen war, schon wieder vom Schnee bedeckt worden. Chris wischte mit der flachen Hand darüber und wieder fiel sein Blick auf den Wachmann, der zurück in Richtung Tunnel ging.
    Nein...er ging nicht.
    Er rannte.

    Nichts dort oben passiert zufällig.
    Auch das hatte sein

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