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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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war mörderisch und der Schnee schlug ihm in dicken eisigen Flocken ins Gesicht. Die Stahlkonstruktion unter diesen Verhältnissen hochzuklettern, bedeutete ein enormes Risiko. Aber hatte er eine Wahl?
    In Julias Blick hatte echte Sorge gestanden und er war sich sicher, dass das nicht gespielt gewesen war. Na, dann hatte der Sturm wenigstens etwas Gutes. Er hätte die Chance, den Helden zu spielen, auch wenn das eine Rolle war, die ihm nicht besonders lag. Aber er hatte schon einmal Julias Vertrauen fast verspielt, damals auf dem Ghost. Das durfte nicht noch einmal passieren.
    Er spähte zum Dach hoch. Acht, neun Meter, mehr konnten es nicht bis zur Schräge sein. Oben am Ghost hatten sie ganz andere Schwierigkeiten gemeistert!
    Er zog den Reißverschluss seiner Jacke bis unter das Kinn. »Beeilen wir uns, bevor uns dieses Wetter endgültig einen Strich durch die Rechnung macht.«
    Die Schneeflocken wurden zunehmend dicker und schwerer. Hier an dieser Stelle waren sie dem eisigen Wind voll ausgesetzt, der von den Gletscherfeldern herabwehte.
    »Yo Man!« Benjamin grinste und klatschte mit ihm ab. Dann machte er einen Schritt nach vorne, packte eine der Stahlschienen, die nicht mehr als fünf Zentimeter aus der Fassade herausragten.
    »Was ist mit dem Rucksack?«, fragte Chris. »Er wird dich nach unten ziehen.«
    Benjamin schüttelte den Kopf. »Wenn ich schon sterben muss, dann nicht ohne meine Kamera. Am Ende vergesst ihr noch, sie mir als Grabbeigabe mitzugeben.«
    Das waren genau die Sätze, über die Benjamin sich totlachen konnte. Im nächsten Augenblick schwang sich sein Fuß nach oben und seine Zehenspitzen fanden tatsächlich auf der ersten Schiene über dem Boden Halt. Dann fasste seine Hand nach einer der Lamellen der Jalousien. Sie schienen stabiler, als Chris vermutet hätte.
    Eine gewaltige Windböe traf das Gebäude und ließ die Konstruktion knarren.
    Er sah, wie Benjamin die Hand nach oben streckte und sich an dem Metallpfosten hochzog. Im nächsten Moment hatte er bereits die zweite Reihe Glasfelder erreicht, wandte sich um und rief: »Auf was wartest du?«

    Ein Aufheulen ertönte, es klang fast wie ein Motor, doch es war nur ein Geräusch, das der wütende Sturm hervorbrachte.
    Chris zuckte zusammen, doch im nächsten Moment fassten seine Hände schon nach den Metallverstrebungen. Er zog sich mit aller Kraft nach oben.
    »Pass auf! Die Metallstreben sind verflucht rutschig und vereist!«, drang Benjamins Stimme zu ihm nach unten.
    »Keine Sorge«, gab Chris zurück. »Ich kann gar nicht abrutschen. Meine Hände sind schon festgefroren.«
    Ben lachte, es klang dünn in dem Heulen des Windes.
    Chris sah nach oben. Ein Schritt nach dem anderen. Er blendete alles aus und fand langsam seinen Rhythmus. Seit sie auf dem Ghost gewesen waren, war er einige Male mit Katie an den Wänden rund ums College geklettert. Sie hatte ihm viel beigebracht.
    Die Verstrebungen ragten so weit heraus, dass er sich problemlos festhalten konnte. Bei gutem Wetter wäre er in ein paar Minuten oben gewesen. Aber der Wind kostete Zeit, weil er ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht brachte. Und je höher er kam, desto eisiger wurde er.
    »Immer schön festhalten, du Weichei«, hörte er erneut Benjamin.
    Er blickte hoch und stellte fest, dass sein Freund bereits auf der Dachschräge lag und die Kamera auf ihn gerichtet hielt. Vor Chris lagen noch zwei Glasflächen.
    »Er ist wahnsinnig«, murmelte Chris vor sich hin und wiederholte innerlich grinsend. »Wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig.«
    Wieder hatte er eine Stufe geschafft.
    Nur noch ein Feld.
    Er streckte die Hand aus, klammerte sich an das kalte Metall und schwang das Bein hoch, fand Halt.
    Und wieder von vorne.
    Dieselbe Bewegung.
    Stopp!
    Eine Windböe traf ihn von hinten. Er fühlte, wie die Glasflächen bebten, hörte das Stahlgerüst surren und wartete, den Körper dicht an die Scheiben gepresst, bis er weiterklettern konnte.
    Und dann hatte er es geschafft und lag mit dem ganzen Körper auf dem abgeschrägten Dach.
    »Pass auf, dass deine Füße immer auf den Außenkanten bleiben«, schrie ihm Benjamin zu.
    »Bin ich lebensmüde?«, schrie Chris zurück.
    »Keine Ahnung!« Ben lachte meckernd. »Aber wenn du Glück hast, ist das Wasser da unten beheizt.«
    Auf dem Dach lag bereits eine dicke Schneeschicht und es war nicht genau zu erkennen, wo ein Glasfeld zu Ende war und das nächste begann. Chris hielt sich mit der rechten Hand fest und wischte den eiskalten

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