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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Abdeckung löst sich nicht. Irgendwo hängt das Gitter und meine Hand ist nicht schmal genug, um durch den Spalt zu kommen.«
    »Deine Hände sind schmal wie die eines Mädchens! Wie soll ich es dann mit meinen Holzfällerpranken schaffen?«
    »Aber du hast die Muskeln eines kanadischen Eishockeyspielers.«
    Chris’ Hände griffen nach der Abdeckung. »Eishockey? Ich hatte noch nie einen Schläger in der Hand. Snowboard, das war mein Ding.«
    »Und ich dachte, ihr Kanadier habt das in den Genen? Egal! Pack an! Auf drei!«
    Chris wusste nicht, ob es ein Windstoß von vorne war, der ihn nach hinten riss, oder die Wucht, mit der das Gitter heraussprang. Jedenfalls stolperte er nach hinten, die Füße rutschten unter ihm weg und er fiel.
    Eine Sekunde, zwei Sekunden...
    Beruhigendes kaltes Schwarz.
    Etwas krabbelte über sein Gesicht, zerfloss, wurde feucht und kalt!
    Scheiße!
    »Chris?«
    Eine Stimme aus dem Off. Eine Hand, die sich fest in seine Schulter krallte und die er vergeblich versuchte abzuschütteln. »Chris?«
    Chris kam nur langsam zu sich, kämpfte sich mühsam und unwillig aus dem Dunkel ans Licht. Er schlug die Augen auf, als eine Ladung Schnee ihn ins Gesicht traf.
    Eine Sekunde oder zwei starrte er benommen in Bens Gesicht und begegnete einem Blick – den Chris noch nie bei Ben wahrgenommen hatte. Irgendetwas lag darin, das ihn irritierte. Etwas Starres, Unbewegtes. Als handele es sich nicht um Benjamin, der ihn ansah, sondern um eine Art Roboter. Als befänden sich hinter diesen Pupillen die winzigen Linsen von zwei Kameras. Als könne Benjamin damit in Chris’ Kopf eindringen und filmen, was in ihm vorging.
    Es war nur ein winziger Moment, und als er vorbei war, dachte Chris, er hätte sich geirrt.
    Oder war es einfach nur einer dieser wahnwitzigen Flashbacks, die einen hier oben im Tal überfielen? Nein, er hatte es noch nicht selbst erlebt, aber sein Vater hatte davon gesprochen. Am Ende, als der Alkohol schon lange die Kontrolle über ihn übernommen hatte.
    Irgendetwas ist dort oben, das die Gedanken der Menschen verändert.
    Auch Robert, Julias superintelligenter Bruder, hatte so etwas erwähnt und sprach immer wieder davon, dass im Tal die Naturgesetze auf den Kopf gestellt seien. Und Robert war nicht irgendwer. Er hatte alle Prüfungen am College bisher mit den besten Ergebnissen abgelegt. Und letzte Woche, David hatte es Julia erzählt, hatte Robert wieder einen Fehler in der Beweisführung von Professor Vernon entdeckt. Und Vernon war nicht irgendwer. Der Leiter des Mathematik-Departments hatte sogar schon einmal auf der Vorschlagsliste des Nobelpreises gestanden.
    »He, warum starrst du mich so an?« Benjamins Stimme riss Chris aus einem Zustand, den Benjamin vermutlich als spacig bezeichnet hätte.
    Chris versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Julia. Sie wartete dort unten auf ihn. Ein greller Schmerz schoss durch seinen Kopf, als er ihn hob.
    »Alles okay?«, fragte Benjamin.
    »Bis auf den Knock-out gerade eben würde ich sagen, Ja.«
    »Offenbar ist das der Tag der Zusammenstöße«, spottete Benjamin. »Auto gegen Baum. Kopf gegen Beton. Nur shit, dass immer drei Unglücke hintereinander passieren.«
    »Du meinst, das war noch nicht alles?«
    »Noch sind wir nicht im Innersten des Tempels angelangt«, murmelte Benjamin.
    »Wir sollten uns beeilen.« Chris sah wieder Julia in ihrer braunen Jacke vor sich. »Die Mädchen sind sicher schon am Erfrieren.«
    Wenigstens hatte sich der Knock-out gelohnt – der Luftschacht war offen. Eine Sekunde später kletterte Benjamin über die Brüstung. Chris folgte ihm. Seine Füße tasteten nach der Leiter und er war fast erstaunt, als er sie fand.
    Er nahm Stufe um Stufe und wusste nicht, wie weit er schon gekommen war, als er Ben schreien hörte: »Moment.«
    Er warf einen Blick nach unten. Er war fast am Ende des Schachtes angekommen. Ben stand etwa drei Meter unter ihm, er war bereits in die Umkleidekabine gesprungen und hielt seine Kamera auf ihn gerichtet. »Willkommen zu Hause und vielen Dank für die Liveberichterstattung.«
    So viel zu deiner Theorie, Dad, dachte Chris sarkastisch. Es kann ja sein, dass jeder mit einem Geheimnis hier hochkommt und vielleicht kann das Tal diese Geheimnisse für alle Ewigkeit bewahren. Aber eines ist auch klar. Das funktioniert nicht, wenn Benjamin in der Nähe ist.

10. Kapitel
    D er scharfe Geruch nach Reinigungsmitteln schlug Chris in den Umkleidekabinen entgegen. Und eine Düsternis, die daher rührte,

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