Der Sturm
dass dieser quadratische Betonwürfel, der Schwimmhalle und Sportbereich miteinander verband, schlichtweg keine Fenster hatte. Helligkeit kam lediglich von oben durch Lichtschächte, auf die sich die letzten Stunden eine feste Schneeschicht gelegt hatte. Es dauerte, bis sie einen Lichtschalter fanden, aber dann war die Neonbeleuchtung umso greller.
Vor Chris stand Benjamin und war dabei, seine Schuhe und Strümpfe auszuziehen.
»Sprich es ruhig aus«, erklärte er. »Ich bin ein Genie und eines Tages wirst du dankbar sein, mich gekannt zu haben. Ohne mich wären wir jetzt nicht hier.«
Chris war tatsächlich dankbar. Was immer ihn auch an diesem Morgen angetrieben hatte, hier wegzukommen, in diesem Moment empfand er einfach nur Erleichterung, sich im Innern des Gebäudes zu befinden. Und obwohl man nicht gerade sagen konnte, dass hier so etwas wie Zimmertemperatur herrschte, so wurde ihm erst jetzt richtig bewusst, wie scheißkalt es draußen war.
Scheißkalt und stürmisch.
Und Julia war noch immer dort draußen und wartete auf ihn.
Und tief in ihm starb eine leise Hoffnung. Die Hoffnung darauf, den Albtraum, mit dem dieser Tag begonnen hatte, hinter sich zu lassen und an diesem Abend zusammen mit Julia im Hotel im Bett zu liegen.
»Was machst du da eigentlich?«, fragte er Benjamin, der sich gerade die Hose auszog. »Wir müssen die Mädchen hereinlassen.«
»Ich wechsle die Kleidung, was sonst? Hier hängen doch immer irgendwelche Klamotten herum, die jemand vergessen hat. Sie sind wenigstens trocken.«
»Und du weißt, wer die vorher anhatte?« Chris schüttelte den Kopf.
»Lieber hole ich mir von jemandem Läuse als eine Lungenentzündung.« Benjamin schlüpfte ungerührt in eine Jeans und ein altes T-Shirt, das er in einem der Spinde gefunden hatte, band sich die Schuhe zu und stand auf. »Tja, wir sind jetzt drinnen, aber kommen wir auch wieder raus? Was, wenn die Eingangstür von innen verschlossen ist?«
Chris’ Miene verfinsterte sich. »Weißt du, wen ich in der Schwimmhalle gesehen habe? Diesen Idioten von der Security! Steve! Oder vielleicht sollte ich lieber von Mister Blind and Deaf sprechen. Ich habe geschrien, geklopft und er bemerkt mich nicht! Ich sage dir, wenn ich ihn finde, ehrlich, diesmal reiße ich ihm den Arsch auf! Er ging mir schon heute Morgen auf die Nerven, wie er Julia angemacht hat.«
Ben überlegte. »Du bekommst noch deine Rache, Mann. Wir gehen jetzt durch den Tunnel ins Hauptgebäude. Und wenn im Büro der Security niemand ist, dann habe ich keine Probleme damit, mir dort einen Schlüssel zu besorgen.«
»Okay, dann nichts wie los.«
Diesmal übernahm Chris die Führung. Sie durchquerten den Duschbereich, der die Umkleidekabinen vom Schwimmbereich trennte. Er hatte erwartet, dass die Schwimmhalle beheizt wäre, doch auch hier hatte man offenbar die Heizung abgestellt.
Chris wagte es kaum, nach oben zu sehen. Die Vorstellung, dass er noch vor Minuten dort oben gelegen und hier heruntergesehen hatte, ließ seinen Puls in die Höhe schnellen. Zudem schmerzte noch immer sein Kopf von dem Sturz.
Chris bemerkte Tannennadeln auf dem gekachelten Fußboden. Der Security-Mann hatte sich noch nicht mal die Mühe gemacht, seine Schuhe auszuziehen. Egal! Er rannte schon fast, als sie die Schwimmhalle hinter sich gelassen hatten. Im Foyer liefen sie zur Treppe in das Untergeschoss und von dort aus gelangten sie zu den Tunneln, die unterirdisch das Sportcenter mit dem Hauptgebäude verbanden. Der Strom schien in diesem Bereich ausgeschaltet worden zu sein, aber wenigstens funktionierte die Notbeleuchtung.
Sie sprachen kein Wort und Chris wünschte sich, er hätte wie Benjamin trockene Kleidung übergezogen.
Wenig später passierten sie den Filmvorführraum und das Computer-Department, bevor sie durch den letzten Gang zu den Aufzügen hetzten, wo Ben stehen blieb, um den Zeigefinger auf die Taste mit dem Pfeil nach oben zu legen.
Chris wusste zwar, dass das Erdgeschoss mit dem Aufzug sehr viel einfacher zu erreichen war als über die langen Flure und Treppenfluchten, aber . . . »Wir können auch die Treppen nehmen . . .«, wollte er gerade sagen, als sich schon die Türen vor ihnen öffneten. »Hast du schon gedrückt?«, fragte er irritiert.
»Nein.« Plötzlich überzog ein breites Grinsen Benjamins Gesicht. »Oh Mann, Chris, ich habe magische Kräfte!«
Die Schiebetüren schlossen sich.
Eine Zeit lang tat sich gar nichts, dann ging ein Ruck durch die Kabine und der
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