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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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der Rücken-lehne eines Stuhls lag Holys Priesterrock, sorgsam zusammengefaltet, und Holys Unterwäsche, zinnoberrot, Seide. »Kein Rosenkranz?« fragte Smithy. »Sonst nichts«, sagte Leibnitz,
    »außer dem da«, und deutete in die Ecke neben dem Fenster: Gurte mit Munition, Revolver, eine Maschinenpistole, einige Handgranaten. »Alles unter dem Priesterrock versteckt, ein Wunder, daß das Ganze nicht hochging!« Leibnitz ließ Wasser in eine alte Badewanne laufen, die Smithy zum ersten Mal sah.
    »Ich glaube, der war überhaupt kein Priester. Nur ein Schwuler.« »Auch möglich«, sagte Smithy, »eine Neuanschaffung?«
    Er betrachtete die Kanister und Flaschen, die herumstanden.
    »Was?« fragte Leibnitz. »Die Wanne«, sagte Smithy. Die sei schon immer dagewesen, antwortete Leibnitz und schob den Wagen mit den chirurgischen Instrumenten zum Seziertisch.
    »Du kannst auch nicht Dänisch?« »Nein«, antwortete Leibnitz.
    Smithy wandte sich enttäuscht ab, sah die Frau, die immer noch in ihrem teuren Kleid in der Tür stand, nachlässig mit der linken Schulter an den Türpfosten gelehnt. Er hatte sie wieder vergessen und erinnerte sich plötzlich, daß er sich vorgestellt hatte, sie würde schreien, zu den Bullen rennen. »Hau ab«, sagte Smithy wütend, aber er wußte schon, daß es eine Phrase war. Sie schwieg. Ihr Gesicht war nicht geschminkt, ihr Haar 80

    hing in langen weichen Strähnen. Smithy fror, es war so heiß, daß ihm plötzlich eiskalt wurde, dann fragte Smithy: »Leibnitz, wo schläfst du eigentlich?«, ohne die Frau aus den Augen zu lassen, die immer noch an dem Türpfosten lehnte. »Ein Stockwerk höher«, sagte Leibnitz, während er schon in Holy hinein-schnitt. Smithy ging zu der Frau. Sie sagte nichts, betrachtete ihn gleichgültig. »Geh in den Lift«, sagte Smithy. Wieder lehnten sie einander gegenüber an den Liftwänden, minuten-lang einander betrachtend. Smithy schloß das Gitter, durch die offene Tür des Sezierraums konnte er Leibnitz eifrig an Holy herumschneiden sehen. Dann fuhr der Lift nach oben, hielt. Die beiden bewegten sich nicht. Smithy betrachtete die Frau, die Frau betrachtete ihn, als sei er irgend etwas Nebensächliches, überhaupt nicht vorhanden und doch vorhanden, sie schaute nicht einfach ins Leere, sie tat nicht, als ob sie ihn nicht sähe, das war das Wahnsinnige. Im Gegenteil, sie beobachtete ihn, erforschte ihn, tastete mit ihrem Blick jede Pore seines unra-sierten, verschwitzten Gesichts ab, glitt jeder Falte nach, und dennoch blieb er ihr gleichgültig, sie wollte einfach bestiegen werden wie ein Tier von einem Tier, und Tiere, dachte Smithy, sind einander wohl auch gleichgültig, er dachte es nebenbei, während er sie betrachtete, ihre Schultern, ihre Brüste unter dem raffinierten Kleid, und dabei dachte Smithy an Holys nackten Leichnam, den Leibnitz ein Stockwerk tiefer auseinan-derschnitt. Kalter Schweiß lief über Smithys Gesicht, er fürchtete sich, er brauchte etwas Nahes, Weiches, Warmes in dieser Kälte, zu der die Hitze erstarrt war, er riß die Frau mit sich, stieß die Tür dem Lift gegenüber auf, zog die Frau ins Zimmer, sah undeutlich eine Matratze, warf die Frau darauf, nur vom Lift her drang Licht durch die offene Türe, und als er die Frau genommen hatte, die alles hatte geschehen lassen, suchte er seine Hose, auf allen vieren, er hatte sie irgendwohin geschleu-dert, und sie lag außerhalb des Lichtscheins, den der Lift ins Zimmer warf, lächerlich das Ganze, idiotisch. »Taxi«, sagte die 81

    Frau ruhig. Smithy stieg in die Hose, stopfte das Hemd hinein, suchte seinen Kittel, fand ihn, über Bücher stolpernd, das ganze Zimmer schien voller Bücher zu sein, wie zu Hause, wo immer noch die Bücher des Professors herumlagen, nur daß hier keine Möbel waren außer der Matratze, unsagbar, wie Leibnitz heruntergekommen war, dabei verlangte der Strolch noch mehr Prozente. Licht machte Smithy nicht, er schämte sich, obgleich er wieder dachte, vor einer Hure brauche er sich nicht zu schämen, aber er wußte plötzlich, daß sie keine Hure war. Die Frau lag immer noch auf der Matratze, im Licht des Lifts, nackt, weiß, Smithy wunderte sich, er konnte sich eigentlich an nichts mehr erinnern, er mußte ihr das Kleid heruntergerissen haben, schön, sollte sie eben sehen, wie sie es zusammenflick-te, offenbar hatte ihn das teure Kleid wütend gemacht, überhaupt konnte sie sich nun selber kümmern, sie war ihm nach-gestiegen, nicht er ihr, aber dann ging

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