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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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geglaubt, überhaupt ständig von Gott geredet, komisch bei seinem Job, Smithy war sicher, daß der Schwule heimlich seinen Rosenkranz gebetet hatte, wenn Smithy sich darunter auch nichts vorstellen konnte. Der Taxifahrer redete vor sich hin, auf spanisch, unaufhörlich, Smithy war froh, als das Taxi die angegebene Straße erreicht hatte, der Taxifahrer kam ihm irre vor, aber die Hitze machte allen zu schaffen. Smithy hatte noch einige Häuserblöcke entlang zu gehen und dann zum West River hinunter, nach alter Gewohnheit ließ er sich nie an seinem Arbeitsplatz absetzen. Die Straßen, enge Schluchten, in eine sinnlose Urlandschaft ge-sprengt, waren scheinbar leer, aber auf den Gehsteigen, den Mauern entlang und auf den Baikonen lagen Menschen und schliefen, halbnackt und nackt, bei der schlechten Beleuchtung kaum zu erkennen, aber überall anwesend als etwas Tierisches, Schwammiges, Smithy lief wie durch heiße, schnarchende, nasse Wände, er schwitzte, er hatte zuviel getrunken. Er erreichte das halbzerfallene Lagerhaus. Im vierten Stock befand sich Leibnitz’ Arbeitsraum, nicht gerade praktisch, aber Leibnitz hatte auf diesen Räumlichkeiten bestanden, überhaupt, wie im einzelnen Leibnitz’ Arbeit vor sich ging und wie er es schaffte, die Überreste – irgendwelche mußte es doch geben, wenn auch offenbar minimale – fortzuschaffen, irgendwohin vom vierten Stock aus, das war Smithy nie recht klargeworden, vielleicht löste sich alles in Flüssigkeit auf und rauschte in die Kanalisation. Smithy schauderte, dachte er daran, daß vor Leibnitz der Professor seine Arbeit noch in der Wohnung 78

    verrichtet hatte, in der Smithy jetzt hauste, wenn auch damals der Umsatz noch gering war, nur eine Leiche im Monat. Schon hatte Smithy die Tür aufgeschlossen, in der vagen Hoffnung, Holy doch noch einmal zu sehen, wenn auch als Leiche, als in diese Hoffnung hinein, betrunken wie Smithy nun einmal war, voll sentimentaler Pietät, eine Stimme hinter ihm von der Straße her sagte: »Ich will mit dir schlafen.« Smithy, die Klinke der halbgeöffneten Tür in der Hand, im Begriff, über die Schwelle zu treten, schaute zurück. Eine Frau stand dicht hinter ihm vor der Türe, nur als Silhouette zu erkennen, Smithy hatte die Treppenbeleuchtung nicht eingeschaltet. Irgendeine Nutte, dachte er. Smithy wollte schon die Türe vor ihr zuschlagen, als ihn plötzlich ein wilder Humor packte. »Komm«, sagte er und tappte ohne Licht zum Lift. Die Frau folgte, er spürte sie in der Brutofenwärme des Korridors, der Lift kam von oben herab. Sie standen dicht beieinander, es dauerte einige Zeit bis der Lift – ein Warenlift, alt, langsam – unten war, Smithy in seiner Betrunkenheit vergaß die Frau. Erst als er sich im hell erleuchteten Lift an die Wand lehnte, fiel sie ihm wieder auf, erinnerte er sich, daß er sie mitgenommen hatte. Sie war etwa dreißig, schlank, strähniges dunkles Haar, große Augen, vielleicht schön, vielleicht nicht, in seiner Besoffenheit brachte Smithy die Erscheinung nicht ganz zusammen, der Eindruck von etwas Vornehmem, von etwas Ungewöhnlichem drang durch seinen Rausch, ein irgendwie ungemütlicher Eindruck, ihr Kleid mußte wahnsinnig teuer sein, und die Figur darunter war zwar in Ordnung, paßte jedoch nicht in die Umgebung, wieso, wußte Smithy nicht, er fühlte es nur, ihr Körper war einfach kein Nuttenleib, und obwohl ihm nebelhaft schwante, daß er sich in dieses Abenteuer nicht einlassen sollte, setzte er den Lift in Bewegung. Die Frau starrte ihn an, nicht spöttisch, auch nicht ängstlich, nur gleichgültig. Er schätzte sie jetzt auf fünfundzwanzig, er war es gewohnt, das Alter der Menschen abzuschätzen. Beruflich. »Wieviel?« fragte Smithy. »Gratis.«

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    Wieder wurde Smithy von einem teuflischen Humor gepackt, die sollte etwas erleben, er stellte sich vor, wie sie die Fassung verlieren würde, das verdammt Vornehme, das ihn auf einmal störte, wie sie schreien würde, die Treppe hinunterrasen, zu den Bullen womöglich, und wie die einfach grinsen würden. Als er sich das vorstellte, grinste er sie an, doch sie verzog keine Miene starrte ihm einfach ins Gesicht. Der Lift hielt, Smithy trat heraus, öffnete die Türe zum Sezierraum, ging hinein, ohne sich nach der Frau umzusehen. Sie folgte ihm, blieb in der Türe stehen. Smithy trat zum Seziertisch, starrte auf Holy, der nackt und tot dalag, Einschüsse in der Brust, erstaunlich sauber, Leibnitz mußte die Leiche gewaschen haben. Über

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