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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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gewachsen waren, in den Kadmos die Zähne des erschlagenen Drachen gesät hatte. Zuerst waren nur die Speerspitzen sichtbar gewesen, dann die Helmbüsche, dann die Köpfe, die sich haßerfüllt anspieen; als die Drachenmänner bis zur Brust aus dem Lehmboden gewachsen waren, schlugen sie aufeinander ein, rüttelten an den Speeren, die noch halb in der Erde steckten, und endlich aus den Furchen entlassen, in die sie gesät worden waren, fielen sie sich an wie Raubtiere; aber Menoikeus’ Urgroßvater Udaios hatte den mörderischen Kampf überlebt und auch den Felsen, den Kadmos auf die sich nie-dermetzelnden Drachenmänner schmetterte. Menoikeus glaubte an die alten Geschichten, und weil er an sie glaubte, haßte er Laios, diesen dünkelhaften Aristokraten, der sein Geschlecht aus der Ehe des Kadmos mit der Harmonia herleitete, der Tochter des Ares und der Aphrodite, na ja, es mußte eine Bombenhochzeit gewesen sein – aber vorher hatte Kadmos den Drachen getötet und dessen Zähne gesät, das stand fest: Menoikeus der Drachenmann fühlte sich über Laios den König erhaben, die Zeugung seines Geschlechts war die ältere und die wunderbarere, Harmonia samt Ares und Aphrodite hin oder her, und als Laios Iokaste heiratete, das stolze helläugige Mädchen mit den wilden roten Haaren, dämmerte in Menoikeus die Hoffnung, er oder wenigstens sein Sohn Kreon könnten einmal zur Herrschaft kommen, Kreon, der schwarzhaarige, 106

    finstere, pockennarbige, vor dessen leiser Stimme die Arbeiter auf dem Bau gezittert hatten und vor der nun die Soldaten zitterten, denn jetzt war Kreon, der Schwager des Königs, Oberbefehlshaber der Armee. Nur die Palastwache war ihm nicht unterstellt. Doch Kreon hatte etwas entsetzlich Treues, er war stolz auf seinen Schwager Laios, ja sogar dankbar, und er hing an seiner Schwester, er hatte sie immer in Schutz genommen, trotz der häßlichen Gerüchte, die umliefen; so kam es nie zu einer Revolution. Es war zum Verzweifeln, wie oft war Menoikeus drauf und dran, Kreon zuzurufen: Rebelliere endlich, mach dich zum König!, aber er wagte es dann doch nicht, und so hatte er seine Hoffnung schon aufgegeben, als er in der Schenke des Poloros – auch der Urenkel eines Drachenmannes gleichen Namens – Tiresias traf, den gewaltigen, harten, blinden, von einem Knaben geführten Seher. Tiresias, mit den Göttern persönlich bekannt, beurteilte die Chance Kreons, König zu werden, durchaus nicht pessimistisch, den Ratschluß der Götter wisse man nicht, oft wüßten diese ihn sogar selber noch nicht, sie seien manchmal unentschieden und geradezu froh, wenn sie von sehen der Menschen gewisse Hinweise – na ja, in seinem, Menoikeus’ Falle koste das fünfzigtausend Talente. Menoikeus erschrak, weniger über die riesige Summe als über die Tatsache, daß diese riesige Summe genau seinem riesigen, an der Kadmeia und anderen königlichen Bauten verdienten Vermögen entsprach, Menoikeus hatte immer nur fünftausend versteuert: Menoikeus zahlte.
    Vor den geschlossenen Augen der Pythia, die sich in den längst dichteren Dämpfen rhythmisch wiegte, stieg eine hoch-mütige Gestalt auf, zweifellos königlich, aber gelangweilt, blond, gepflegt, müde. Pannychis wußte, daß es Laios war.
    Natürlich war der Monarch erstaunt gewesen, als Tiresias ihm das Orakel Apolls überbrachte, sein Sohn, falls Iokaste einmal gebäre, werde ihn ermorden. Aber Laios kannte Tiresias, die Preise eines bei Tiresias bestellten Orakels waren unverschämt, 107

    nur reiche Leute konnten sich Tiresias leisten, die meisten waren gezwungen, sich persönlich nach Delphi zu begeben und die Pythia zu befragen, was weitaus unzuverlässiger ausfiel: Wenn nämlich Tiresias die Pythia befragte, so, war man überzeugt, sprang die Kraft des Sehers auf die Pythia über, Unsinn natürlich, Laios war ein aufgeklärter Despot, die Frage war nur, wer Tiresias bestochen hatte, ein derart heimtückisches Orakel zu bewirken, jemand mußte ein Interesse daran haben, daß Laios und Iokaste keine Kinder zeugten, entweder Menoikeus oder Kreon, der den Thron erbte, falls die Ehe kinderlos blieb. Aber Kreon war aus prinzipieller Sturheit treu, sein politischer Dilettantismus war zu eklatant. Also Menoikeus. Der sah sich wohl schon als Vater eines Königs, bei Zeus, mußte der an der Staatskasse verdient haben, die Preise, die Tiresias verlangte, überstiegen bei weitem das Vermögen, welches Menoikeus versteuerte. Schön, der Drachenmann war sein Schwiegervater,

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