Der Sucher (German Edition)
Janor ernst. »Aber was Ihr wünscht, ist nicht möglich.«
Ich erschrak. Worauf wollte er hinaus? Hatte er sich doch noch gegen mich entschieden?
»Ihn zu begnadigen, widerspricht den Wünschen der verstorbenen Regentin«, fuhr Janor fort. »Aber Ihr könnt ihn im Namen eurer Gilde freikaufen.« Jetzt lächelte er. »Ich würde einen symbolischen Preis von einem Ruma vorschlagen.«
Gerade, als ich anfing, mich zu entspannen, mischte Nemur sich ein. »Das geht nicht, das ist gegen das Gildenrecht«, stellte er kühl fest. »Für Geiseln muss ein hoher Preis festgesetzt werden, Regent. Ich halte zweitausend Tarba für angemessen.«
Ich sah, dass Janor irritiert war und meine Freunde unsicher dreinblickten. Zweitausend Tarba! Ein so hohes Lösegeld durften Merwyn und Ynea sicher nicht akzeptieren. Sie besprachen sich leise mit dem Abgesandten des Rates. Dann erklärte Merwyn: »Wir können im Auftrag der Wasser-Gilde fünfhundert bieten.«
»Ausgeschlossen – das ist ja nicht mal in der Nähe unserer Forderung«, sagte Nemur zufrieden. »Damit ist der Fall erledigt.«
Ich hatte Janor nie zuvor wütend gesehen und war überrascht, wie kühl er dabei blieb. »Keineswegs«, sagte er ruhig. »Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieser Gefangene wertvoll ist. Damals, als ich ihn kennen gelernt habe, hat man ihn mir als einen der besten Sucher Dareshs angekündigt. Inzwischen weiß ich, dass er das wirklich ist.«
Ich war gerührt. Aber wie zu erwarten, hakte Nemur sofort ein. »Na also, dann sind zweitausend Tarba ange ...«
»Ich werde selbst einen hohen Preis vorschlagen«, unterbrach ihn Janor und wandte sich an meine Gefährten. »Seid Ihr bereit, etwas für ihn zu geben, was Euch sehr wertvoll ist?«
Sie waren alle drei überrascht, und auch die Menge zeigte sich verdutzt. Neugierig reckten die Anwesenden die Hälse.
Ynea trat als Erste vor. Sie nahm ein kleines Stück Holz aus der Tasche und legte es andächtig auf die Stufe des Throns. »Das ist ein Stück von einem Boot«, erklärte sie so leise, dass ich sie aus der Entfernung kaum verstand. »Einem unserer Boote, die während der Gildenfehde abgebrannt sind. Ich habe damals, vor langer Zeit als Kind, daran mitgebaut. Wahrscheinlich werde ich nie wieder ein Boot bauen, deshalb ist mir das Stück wertvoll.«
Ich atmete tief durch. Ynea kannte mich kaum. Aber hier war sie und setzte sich für mich ein. Das würde ich ihr nie vergessen.
Nervös wartete ich darauf, was Merwyn tun würde. Auch er zögerte nicht – und nahm seine Salisar-Klaue vom Gürtel. »Das hier habe ich vor ein paar Wintern von meinem Vater bekommen. Als Dank, nachdem ich ihn vor einem Skagarok beschützt hatte. Unter den vielen Dingen, die er mir geschenkt hat, ist sie allein mir wertvoll.« Er legte die Waffe vorsichtig auf die Stufe und zog sich wieder zurück. Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, Lilienmann , ging es mir durch den Kopf. Wenn ich daran dachte, wie er und ich uns in der ersten Zeit unserer Reise bekriegt hatten!
Nun trat der Fremde vor. Er musste nicht sehr laut sprechen, denn inzwischen war es im Saal so still wie über einem See kurz vor einem Gewitter. »Ich kenne Tjeri ke Vanamee nicht persönlich, aber er ist ein Gildenbruder, und ich werde für ihn das Amulett geben, das meine Gefährtin mir geschenkt hat, damit es mich auf allen Reisen beschützen soll. Es ist mir sehr wertvoll.«
Janor blickte auf die drei Gegenstände, die vor ihm lagen. Dann wandte er sich direkt an die Menschen, die im Thronsaal versammelt waren. »Sagt mir – ist das nicht ein hoher Preis? Hoch genug, um den Bestimmungen zu genügen?«
Vielleicht hat jeder Mensch in seinem Leben mindestens einen Moment der Größe. An diesem Tag war es für Janor soweit. Die Menschen im Saal applaudierten sich die Hände wund für ihn, für die Weisheit, mit der er entschieden hatte. Bestimmt haben sie sich in den Wintern, die folgten, manchmal gewünscht, er wäre auf dem Thron geblieben, auch wenn das die lange Tradition der Regentinnen gebrochen hätte. Doch so wurde einen Tag später Hetta Regentin und ging als 158. Herrscherin Dareshs in die Geschichte ein.
Es regnete, als ich durch das Haupttor der Felsenburg trat. Die Wachen verzogen sich schnell wieder unter das schützende Vordach. Vielleicht beobachtete mich jemand aus den hohen Fenstern der Burg, aber das wollte ich gar nicht wissen. Ich stand einfach da und hob das Gesicht zum Himmel. Ließ das Wasser auf mein Gesicht prasseln,
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