Der Sucher (German Edition)
es mich, dass du nicht schon längst niedergestochen worden bist.«
Deswegen bekam ich im Hauptraum seiner Kuppel meinen ersten Kampfunterricht und eine Schulung, wie man mit Säurekugeln umgeht. So viel wie an diesem Tag hatte ich Udiko selten fluchen gehört. Vor allem deshalb, weil ich es schon nach fünfmal zehn Atemzügen geschafft hatte, ein Säureloch in seinen wertvollen Buntalgenteppich zu brennen. Auch mit dem Messer stellte ich mich nicht allzu geschickt an und bekam tägliche Lektionen verordnet.
An den langen Winterabenden saßen wir meist mit einem Becher Cayoral im Hauptraum, und Udiko erzählte. Jeden Tag nahm er einen der vielen eigenartigen Gegenstände in seiner Kuppel und berichtete, woher er ihn hatte und was für eine Suche dahinter steckte. Ich konnte nicht genug bekommen von diesen Geschichten und lernte viel daraus.
Trotz all dem bekam ich in diesem Winter zum ersten Mal Heimweh. Ich vermisste Jarco, meine Familie, meine Freunde in Colaris und Uskali. Deshalb war ich begeistert, als sich meine Schwester Kenna zu einem Besuch ansagte. Sie war die älteste von uns drei Geschwistern – vier Winter älter als ich – und im Gegensatz zu mir sehr vernünftig. Früher hatte ich sie oft fast zum Wahnsinn getrieben, aber inzwischen verstanden wir uns gut. Sie freute sich sehr, als ich ihr die schwarze Perle schenkte.
Taktvoll ließ Udiko uns allein, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Es gab viel zu erzählen, und wir redeten bis spät in die Nacht. Als wir alle Neuigkeiten ausgetauscht hatten, wurde Kenna ernst. »Willst du Vater nicht mal besuchen, Tjeri? Er vermisst dich.«
Ich vermisste ihn auch. Die Sehnsucht danach, mal wieder Seite an Seite mit ihm durch die Fischfarmen zu schwimmen, setzte mein Herz unter Wasser. Aber dann dachte ich wieder an seine neue Frau und an den hässlichen Streit. Unglaublich, es tat immer noch weh. »Hat er das gesagt?«, fragte ich hart. »Dass er mich vermisst?«
»Nein, nicht direkt. Aber ich weiß es. Er würde sich freuen, dich zu sehen.«
»Ich bin in den nächsten Monaten nicht im Norden. Und Zeit habe ich auch keine.«
»Du kannst ganz schön grausam sein, Tjeri.«
Ich schwieg und streichelte den Salamander auf meiner Schulter.
Der Herr der Quallen
Meine zweite große Bewährungsprobe kam, als das Eis gerade geschmolzen war und allmählich wieder Ratsuchende zu uns fanden. Nicht immer waren sie so harmlos wie unsere bisherigen Gäste.
Als wir an einem milden Frühlingstag hörten, dass jemand zur Kuppel heruntertauchte, versuchte der Große Udiko aufzustehen. Stöhnend ließ er sich wieder zurücksinken. »Geh du«, knurrte er. »Mein Rücken tut heute weh wie sonst nur nach einem Wettschwimmen.«
Ich hatte keine Zeit, einen Gruß zu rufen. Der Vorhang wurde mir aus der Hand gerissen, und ein halbes Dutzend Soldaten in nassen schwarz-silbernen Uniformen drängte sich aus dem Vorraum in den Gang. Sie sahen aus wie halb ertränkte Nachtwissler. »He, Junge!«, brüllte mich einer von ihnen an. »Wo ist dein Meister?«
Ich legte die Hand ans Ohr. »Was habt Ihr gesagt? Könntet Ihr bitte ein bisschen lauter reden?«
»WO IST DEIN ...«
»Schon gut, schon gut«, sagte ich und ging ihnen voran in die Wohnkuppel. Wieso verstand eigentlich nie jemand aus einer anderen Gilde meine Witze? Und wer waren diese Kerle überhaupt? Da es auf Daresh nicht viele Uniformen gab, fiel mir nur eine Möglichkeit ein: Es mussten Farak-Alit sein, Mitglieder der gildenlosen Elitetruppe der Regentin. Ich kündigte sie Udiko an und setzte mich neben ihn, um mir anzuhören, was die Kerle zu sagen hatten. Vielleicht überlegte ich mir besser schon mal, ob und wie wir es im Zweifelsfall schaffen könnten, sie rauszuwerfen.
Die Soldaten stellten sich breitbeinig mitten in die Kuppel und tropften den Teppich voll, weil sie keine schnell trocknenden Schwimmhäute trugen. Ihre Langschwerter schleiften fast auf dem Boden; sie waren so unhöflich gewesen, ihre Waffen in den Wohnbereich mitzunehmen. Aber Udiko ließ sich keinen Ärger anmerken.
»Seid Ihr der Große Udiko?«, raunzte der Kommandant – derjenige, der mich vorhin angeschrien hatte.
»So werde ich genannt.«
»Die Regentin braucht Eure Hilfe«, sagte der Farak-Alit. Ich versuchte ihn so zu sehen, wie Udiko es mir beigebracht hatte, und bemerkte, dass seine Kiefermuskeln angespannt waren. Er schien sehr nervös zu sein. »Ihr Sohn, der Zweite Regent, wird im Seenland vermisst. Man hat uns gesagt, dass
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