Der Sucher (German Edition)
Ihr der beste Sucher von Vanamee seid. Ihr habt Befehl, ihn zu suchen und zurückzubringen. Sofort. Und natürlich ist das alles strengstens geheim!«
Udiko und ich sahen uns an. Eins war klar: In seinem momentanen Zustand konnte Udiko nicht mal eine Menschenlänge weit schwimmen. Andererseits lehnte man eine Bitte der Regentin nicht leichten Herzens ab. Weil man sonst riskierte, einen Kopf kürzer gemacht zu werden.
»Das mag sein«, gab mein Meister zurück. »Aber ich bin krank. Der Rücken. Tut mir leid.«
Das gefiel ihnen nicht. Ganz und gar nicht. Mürrisch fragte der Kommandeur: »Wer ist der zweitbeste Sucher von Vanamee, und wo lebt er?«
»Kiris. Im Norden, zehn Tagesreisen von hier.«
Allmählich sah der Kommandeur etwas verzweifelt aus. »Gibt es keinen guten Sucher, der näher wohnt?«
»Doch«, sagte Udiko und deutete auf mich.
Ich war sprachlos. Moment mal! Ich lernte erst seit einem Winter von ihm! Er konnte nicht ernsthaft vorhaben, mich auf eine so wichtige Suche zu schicken! Auch die Soldaten blickten nicht wirklich überzeugt drein. Doch Udiko blieb wie üblich die Ruhe selbst. »Erzählt uns, was passiert ist.«
»Der Zweite Regent war tagsüber wie immer ohne Eskorte unterwegs«, berichtete der Kommandant schroff. »Das macht er gerne, er reist viel durch die Provinzen. Normalerweise holen wir ihn jeden Abend ein, um ihn nachts zu beschützen. Doch diesmal haben wir nur sein Kanu treibend gefunden. Leer. Das war vor fünf Tagen.«
»In welcher Gegend?«
»Zwei Tagesreisen südlich von hier. Keine Ahnung, wie die verdammte Gegend heißt.«
»Lingaja-Region«, sagte ich und begann, meiner Aufgabe entsprechend, mit einem feinen Stöckchen eine Karte der Gegend in die Sandschale zu zeichnen. Den Schwarzen Fluss. Die Hundert Schächte. Die Quallenhöhlen. Je länger ich zeichnete, desto mulmiger wurde mir zu Mute. Wenn dieser Bursche tatsächlich da langgepaddelt war, dann würde es ein gutes Stück Arbeit werden, ihn heil zurückzubringen.
Als ich fertig war, nickte Udiko und wandte sich an die Farak-Alit: »Würdet Ihr bitte oben warten?«
Als die Soldaten endlich polternd und tropfend entschwunden waren, sah Udiko mich erwartungsvoll an. »Und? Was sagen dir deine Augen?«
»Sieht so aus, als würde die Regentin ihren Sohn nicht besonders lieben«, meinte ich. »Nur sechs Soldaten zu schicken, ist eine Beleidigung. Es kann natürlich sein, dass oben noch zwanzig warten, aber das hätten wir sicher bemerkt.«
Udiko nickte. »Soweit ich gehört habe, verachtet sie ihn. Außerdem hat ein Zweiter Regent kaum eine Funktion. Außer, die Regentin stirbt unerwartet. Dann nimmt er vorübergehend ihren Platz ein, bis eine Nachfolgerin gefunden ist. Was meinst du – wissen die Farak-Alit, wo er steckt?«
Ich dachte nach. »Nein. Ich glaube nicht. Wahrscheinlich haben sie erstmal vergeblich gesucht und sind schließlich auf die Idee gekommen, sich nach einem Sucher zu erkundigen. Inzwischen sind sie alle ziemlich in Panik, weil sie die Verantwortung für den Sohn haben und großen Ärger kriegen, wenn sie ihn nicht in einem Stück zurückbringen.«
»Wo könnte der Kerl deiner Meinung nach sein?«
»Ich wette, der Herr der Quallen hat ihn erwischt.«
»Darauf wette ich nicht. Ich glaube nämlich, dass du Recht hast. Wundert mich, dass er sich die Farak-Alit nicht auch gleich geschnappt hat.« Er sah mich scharf an. »Was ist, traust du dir zu, den Burschen zurückzubringen? Es ist nicht ganz fair von mir, dich allein auf so eine Suche zu schicken. Aber es würde nicht gerade ein gutes Licht auf das Seenland werfen, wenn der Sohn der Regentin hier verschwände. Außerdem kannst du Erfahrung mit gefährlichen Aufträgen gebrauchen.«
Ich schluckte und sagte Ja. Hätte ich es auch getan, wenn ich damals schon gewusst hätte, was dieser Auftrag in Gang setzen, was er für mein Leben und meine Zukunft bedeuten würde? Wahrscheinlich nicht. Ich hätte den Sohn der Regentin beim Herrn der Quallen versauern lassen – und wäre heute ein anderer Mensch. Aber auch Daresh wäre ein anderer Ort, und ganz sicher kein besserer.
* * *
Jini hatte vorgeschlagen, sich mal wieder zu treffen: »Wie wär‘s mit morgen in den Küchen? Da kenne ich einen Platz, wo man leckere Sachen bekommt.« Zu ihrer eigenen Überraschung hatte Mi‘raela genickt. Aber nun, tagsüber, kamen ihr Bedenken. War es eine Falle? So was kam vor – vor einigen Wintern hatte ein Küchenjunge mal versucht, ihr einen Diebstahl
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