Der Südstern oder Das Land der Diamanten
wurde dabei abgemacht, daß er diesen achtundvierzig Stunden lang an der nämlichen Stelle erwarten werde. In achtundvierzig Stunden konnte der auf seiner schnellen Giraffe reitende Chinese eine ziemlich große Wegstrecke zurückgelegt haben und nach dem Lagerplatz zurückgekehrt sein. Nachdem dieser Beschluß gefaßt, wollte Lî auch keine Minute verlieren. Ob er ausruhen konnte oder nicht, das machte ihm keine besondere Sorge. Er war schon im Stande, einmal eine Nacht den Schlaf zu übergehen. Er nahm also Abschied von Cyprien, indem er diesem die Hand küßte, holte seine Giraffe, sprang auf dieselbe und verschwand in der Finsterniß.
Zum ersten Male seit seinem Aufbruche aus der Vandergaart-Kopje sah Cyprien sich nun allein in der weiten Wüste. Er fühlte sich recht traurig und konnte nicht umhin, sich, nachdem er seine Decke umgeschlagen, den trübseligsten Ahnungen zu überlassen. Vereinsamt, fast am Ende mit allen Nahrungsmitteln und mit dem Schießbedarf, was sollte hier im unbekannten Lande, mehrere hundert Meilen von jeder civilisirten Gegend wohl noch aus ihm werden? Matakit wieder zu treffen, war ja nur eine ziemlich schwache Aussicht. Konnte dieser sich nicht vielleicht einen halben Kilometer von ihm entfernt befinden, ohne daß er dessen Nähe zu muthmaßen vermochte? Wahrhaftig, dieser Zug wurde schwer vom Unglück verfolgt und war schon durch so viele traurige Vorkommnisse ausgezeichnet. Fast jedes Hundert zurückgelegter Meilen hatte einem seiner Mitglieder das Leben gekostet. Nur ein Einziger war noch übrig!… Er selbst!… War vielleicht auch ihm ein ebenso elender Tod beschieden, wie den Uebrigen? Solcher Art waren die trüben Reflexionen Cypriens, der aber doch zuletzt dabei einschlief.
Die Morgenfrische und die Ruhe, welche er eben genossen, verliehen seinen Gedanken, als er wieder erwachte, eine mehr Hoffnung erweckende Richtung. In Erwartung der Rückkehr des Chinesen beschloß er, den höchsten Hügel zu besteigen, an dessen Fuße sie Halt gemacht hatten. Dort konnte er voraussichtlich eine größere Strecke der Umgebung überblicken und vielleicht mit Hilfe seines Fernrohres gar irgend eine Spur von Matakit entdecken. Um das auszuführen, mußte er sich freilich unbedingt von seiner Giraffe trennen, da bekanntlich noch kein Naturforscher diese Vierfüßler in die Ordnung der Kletterthiere versetzt hat.
Cyprien begann also damit, jener die von Lî so sinnreich hergestellte Halfter abzunehmen, dann band er einen Stock an das Knie des Thieres und an einen mit dichtem seinen Grase umgebenen Baum, wobei er den Strick so lang hängen ließ, daß jenes nach Belieben Futter suchen konnte. Wenn man die Länge seines Halses der des Stockes hinzurechnete, so ließ gewiß der Umkreis der dem graziösen Thiere gelassenen Weidefläche nichts zu wünschen übrig.
Nach Vollendung dieser Vorbereitungen nahm Cyprien die Büchse auf die eine Schulter, seine Decke auf die andere, und nachdem er sich von der Giraffe mit einem freundlichen Streicheln verabschiedet, begann er die Besteigung des Berges.
Dieser Aufstieg wurde lang und beschwerlich. Der ganze Tag verlief damit, steile Abhänge emporzuklimmen, Felsen oder unübersteigliche Spitzen zu umgehen und von Osten oder Süden her einen von Norden oder Westen fruchtlos gebliebenen Versuch auf’s Neue anzufangen.
Bei Anbruch der Nacht befand sich Cyprien erst in halber Höhe und mußte die weitere Besteigung bis zum nächsten Tage verschieben.
Mit Tagesanbruch, und nachdem er sich durch scharfes Heruntersehen überzeugt, daß Lî noch nicht nach dem Lager zurückgekehrt war, gelangte er endlich gegen elf Uhr Vormittags auf den Gipfel des Berges.
Hier erwartete ihn eine grausame Enttäuschung. Der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt Dichte Nebelmassen wallten um die unteren Bergwände, und vergeblich bemühte sich Cyprien die Schleier zu durchschauen, um die benachbarten Thalmulden zu überblicken. Das ganze Land ringsum verschwand unter dieser Anhäufung unförmlicher Dunstmassen, welche unter sich nicht das Mindeste erkennen ließen.
Cyprien ließ sich nicht abschrecken; er erwartete und hoffte noch immer, daß eine Aufklärung ihm gestatten würde, den fernen Horizont, wie er wünschte, absuchen zu können – vergeblich! Je mehr der Tag vorschritt, desto mehr schienen die Wolken an Dichtheit zuzunehmen, und als die Nacht herankam, schlug das Wetter gar noch in Regen um.
Der junge Mann sah sich also von dieser höchst prosaischen
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