Der süße Hauch von Gefahr
fragte er sich. Der hässliche Zwischenfall mit Ormsby war eine einmalige Verirrung gewesen. Er glaubte ja nicht wirklich, dass sein Leben in Gefahr gewesen war, oder? Das war albern. Er hatte nichts zu befürchten von dem Marquis, und es gab keinen Grund, Hals über Kopf nach London zu fahren. Außerdem gefiel es ihm ausgezeichnet, hier in seinem neuen Haus.
Zu dieser Jahreszeit war es in der Hauptstadt heiß und angenehme Gesellschaft dünn gesät, rief er sich ins Gedächtnis. Oh, sicherlich konnte er bei den Horse Guards ein paar Freunde für ein freundschaftliches Spielchen finden, aber mittlerweile hatte auch das letzte Mitglied der guten Gesellschaft London verlassen und sich aufs Land zurückgezogen. Im September zum Beginn der kleinen Saison wäre es viel besser.
Trotz seines Zauderns und Aufschiebens und Verdrängens der Augenblicke, als Ormsbys Finger sich um seinen Hals geschlossen hatten, ihn gewürgt hatten, konnte Denning nicht ganz das ungute Gefühl abschütteln, dass er sich täuschte und Ormsby am Ende doch wesentlich gefährlicher war, als er wahrhaben wollte. Der Gedanke, dass Ormsby das Päckchen stehlen könnte, ließ ihn ebenfalls nicht los, sodass er seinen Entschluss immer wieder überdachte.
Ormsby konnte unmöglich wissen, wo er die Papiere versteckt hatte; das Versteck konnte überall im Haus sein. Ihm fiel wieder Ormsbys nachdenklicher Blick auf Janes Schreibtisch ein, und Denning stand auf und ging zum Bücherschrank. Selbst wenn Ormsby den Schreibtisch in seine Einzelteile zerlegte, würde er nicht entdecken, wonach er suchte. Aber wenn er es dort nicht fand, so sagte ihm der gesunde Menschenverstand, würde er sich nach einem anderen Versteck umsehen. Würde ein Einbrecher in diesem Zimmer weitersuchen oder in einem anderen Teil des Hauses? Das Päckchen war versteckt, aber war es gut genug versteckt, dass es den forschenden Augen eines Diebes entgehen würde?
Er wurde immer unsicherer bezüglich seines Verstecks, und so öffnete Denning den Schrank und nahm Chaucers Werk heraus. Er hielt das Buch in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Er musste einen besseren Platz finden.
Mit dem Band verließ er das Arbeitszimmer und ging langsam die Stufen empor in sein Schlafzimmer. Er öffnete die Schublade des Nachttischchens mit der Marmorplatte neben seinem Bett und legte das Buch behutsam hinein. Es schien ihm unwahrscheinlich, dass ein Dieb hier suchen würde, wo er nur wenige Zoll entfernt schlief. Daher war es für heute Nacht wenigstens sicher. Aber am Tage … Das war etwas völlig anderes, schließlich konnte er wohl kaum die ganze Zeit mit einem Buch in der Hand herumlaufen. Einen Tag oder zwei konnte er den Band in seiner Nähe behalten, aber danach …
Er seufzte. Ob es ihm nun passte oder nicht, er würde nach London fahren müssen. Er würde Beckham am nächsten Morgen früh bei Tagesanbruch mit seinem Gepäck und einem Brief an seinen Anwalt vorausschicken, damit er ihn von seinem bevorstehenden Eintreffen unterrichten konnte. Dann würde er am Donnerstag in gemächlicherem Tempo folgen und sich am Freitag mit ihm treffen.
Erst als sein Plan gefasst war, gestand er sich ein, dass er erleichtert sein würde, sobald die Beweise nicht mehr in seinem Besitz waren … Und er hatte Ormsby gewarnt, dass sein Anwalt für den Fall seines Todes die Anweisung erhalten hatte, das Päckchen unverzüglich zu öffnen. Ormsby würde es nicht wagen, Hand an ihn zu legen. Er lächelte. Nein, Ormsby würde sich sogar größte Mühe geben, sicherzustellen, dass er gesund und wohlbehalten ein hohes Alter erreichte, denn falls nicht …
Da Will Dockery auf Rosevale in der Dienerschaft untergekommen war, erfuhr Ormsby von Dennings geplanter Reise nach London innerhalb von Stunden nach Beckhams Aufbruch am kommenden Morgen. Mit nachdenklicher Miene warf er Dockery eine Münze zu und sandte ihn nach Rosevale zurück.
Er durchwanderte gedankenversunken den vielfach bewunderten Blumengarten, den eine Mutter angelegt hatte, an die er sich kaum erinnern konnte, und lächelte vor sich hin. Es hatte seine Geduld auf eine nahezu unerträgliche Probe gestellt, einfach abzuwarten, aber er hatte auch gewusst, dass Denning sich früher oder später verraten würde. Und seine Geduld hatte sich gelohnt. Der Oberst würde ihm wie eine reife Pflaume in die Hand fallen.
Mehr als einmal seit dem schwarzen Tag, an dem Denning ihm enthüllt hatte, was er gefunden hatte, war sich Ormsby darüber im Klaren
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