Der süße Hauch von Gefahr
Ormsby irgendwo sonst auf den Britischen Inseln wohnen würde, irgendwo, nur nicht hier in der Nähe, hätte er genau gewusst, was er tun musste, welche Schritte er unternehmen musste, und er hätte nicht dieses unangenehme Gefühl gehabt, dass ihm die Hände gebunden waren. Ormsby war zu nahe an seinem Zuhause, zu nahe denen, die er liebte. Was auch immer am Ende zwischen ihm und Ormsby geschah, es durfte nicht das Leben der Menschen beeinträchtigen, die er immer zu beschützen versucht hatte. Er runzelte die Stirn. Er war nicht länger nur der Enkel seiner Großmutter oder der Halbbruder seiner Geschwister, er war nun Julianas Ehemann. Er konnte nicht damit leben, wenn ihr durch sein Tun oder Nichtstun irgendetwas zustieß.
Seine Züge verhärteten sich. Aber er musste etwas wegen Ormsby unternehmen. Er konnte nicht zulassen, dass der Marquis weiter frei und unbehelligt umherlief, ebenso wenig wie er eine Schlange in seinem Bett dulden konnte. Wenn nur, dachte er erbittert zum x-ten Mal, der Mann nicht direkt vor meiner Haustür leben würde.
Zufrieden mit seinem Leben, verliebt in seine Frau, hätte Asher alle Pläne fallen gelassen, Ormsby eins auszuwischen, indem er die Ormsby-Diamanten stahl, auch wenn er das lange vorgehabt hatte und ihm die Vorstellung immer viel Freude bereitet hatte. Aber dass der Marquis zwei Meuchelmörder auf ihn angesetzt hatte, hatte alles geändert; und Ashers Pläne drehten sich nicht länger darum, Ormsby etwas wegzunehmen, was ihm wichtig war … Ich werde den Kerl umbringen müssen, entschied er leidenschaftslos. Und zwar auf eine Art und Weise, die meiner Familie nicht schaden wird. Ein Duell?, fragte er sich. Obwohl Duelle gegen das Gesetz verstießen, wurden sie immer wieder ausgetragen. Einen Adeligen dabei zu töten, würde allerdings mit Sicherheit bedeuten, dass er deportiert wurde oder auf den Kontinent fliehen musste … oder hängen würde. Keine dieser Möglichkeiten sagte ihm zu.
Sein Mund verzog sich. Es würde wohl auf einen guten altmodischen Mord hinauslaufen, erkannte er müde. Und zwar bald.
Ein paar Meilen entfernt auf Rosevale dachte Denning ebenfalls über Ormsby nach, aber seine Gedanken beinhalteten keinen Mord. Seit Ormsby vor über einer Woche aus dem Raum gestürmt war, hatte Denning nichts von ihm gehört. Natürlich war er damit ganz zufrieden; es eröffnete ihm nämlich die Möglichkeit, in Ruhe zu überlegen, wie sein nächster Schritt am besten aussehen sollte.
Denning hatte sich eingeredet, dass die Rauferei zwischen Ormsby und ihm völlig normal gewesen war. Es war, so hatte er sich immer wieder gesagt, einfach nur das, was zwischen heißblütigen Gentlemen oft genug geschah. Unter dem anregenden Einfluss von Alkohol ging mit ihnen das Temperament durch. Es war einfach lachhaft zu glauben, dass ein Mann in Ormsbys Stellung ihn ermordet hätte. Und er machte ihm auch keine Vorwürfe – schließlich hatte er ihm gedroht.
Was Denning wieder auf den Grund seiner Überlegungen zurückbrachte. Am Dienstagabend saß er in seinem Arbeitszimmer und starrte auf den Mahagoni-Bücherschrank, die Augen auf das Buch gerichtet, das den Brief und die Papiere aus Janes Schreibtisch enthielt. Es war nicht völlig außerhalb des Möglichen, dass Ormsby jemanden beauftragte, hier einzubrechen und nach den Beweisen zu suchen. Oder es gar selbst tun. Sobald ihm das Päckchen in die Hände fiel, würde der Marquis, das wusste Denning genau, den Inhalt vernichten, und wenn der Beweis nicht länger existierte … dann wäre auch unsere kleine Abmachung beendet, dachte er mürrisch.
Das Richtige, das Ehrenwerte, das war ihm durchaus bewusst, wäre es, das Päckchen Asher zu übergeben und ihn entscheiden lassen, aber die Idee, seine Macht über Ormsby abzugeben, sagte ihm so gar nicht zu. Er schnitt eine Grimasse. Es war traurig, aber wahr, er mochte es, dass er den Marquis dazu bringen konnte, nach seiner Pfeife zu tanzen. Es gefiel ihm, zu wissen, dass er nach Belieben Zugriff auf das enorme Vermögen Ormsbys hatte … solange er nicht zu gierig wurde.
Und es war nicht so, erinnerte er sich tugendhaft, als würde er Asher nie etwas von dem Inhalt des Päckchens wissen lassen. Er würde es … nur nicht ausgerechnet jetzt.
Während er zunächst vorgehabt hatte, mit dem Brief und dem Päckchen nach London zu fahren und alles bei seinem Anwalt zu deponieren, zögerte er es immer wieder hinaus, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Warum sich auch so hetzen?,
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