Der sueße Kuss der Luege
er findet, die anderen Kinder müssten lernen, sich mit seinem Leon auseinanderzusetzen.
Bei den fünf Schaukeln, Autoreifen an Eisenketten, die so im Kreis angeordnet sind, dass die Kinder sich beim Schaukeln anschauen können, ist noch mehr los und wir müssen uns anstellen. Vor uns stehen schon zwei kichernde blonde Mädchen und warten auf eine freie Schaukel. Die beiden sind bestimmt schon zehn oder elf Jahre und, wie ich finde, viel zu alt für diesen Spielplatz.
Aber als die zwei Ida entdecken, gehen sie entzückt neben ihr in die Knie und fragen Ida nach ihrem Namen, den Ida kein bisschen schüchtern heraustrompetet. Die eine Blonde mit Pferdeschwanz und in Shorts erklärt ihr, dass sie Sophie und das andere Mädchen mit dem Jeansminirock ihre Zwillingsschwester Marie sei.
»So«, wiederholt Ida und »Mie«, was die beiden Mädchen noch mehr entzückt. Sie fragen Ida, ob sie als Erste schaukeln möchte. Ida nimmt das sofort an, und als die beiden ihr auch noch anbieten, sie anzuschubsen, ist sie Feuer und Flamme, was mich freut, denn sonst lässt sie nur mich das tun, selbst meine Freundin Ellen oder Basti haben keine Chance, wenn ich in der Nähe bin.
Ich entdecke einen freien Platz auf der Bank unter einer Platane, von dem aus man die Schaukeln einigermaßen im Blick hat. Direkt neben dem Platz ist zwar ein wespenumschwirrter Mülleimer, aber vor denen habe ich keine Angst. Ich schiebe den Kinderwagen dorthin und greife nach der Wasserflasche. Diese schwüle Hitze schlaucht ganz schön. Ida scheint sie allerdings nicht zu stören, die kann wie immer nicht genug vom Schaukeln kriegen und motiviert die Mädchen mit ihren fröhlichen Jauchzern dazu, sie noch höher anzustoßen. Gut, dass Yukiko das nicht sehen kann, sie würde das für viel zu gefährlich halten. Aber Ida macht nur das, was sie sich auch zutraut, davon bin ich überzeugt. Trotzdem winke ich ihr lieber nicht zu, sonst lässt sie vielleicht die Eisenkette los, nur um zurückzuwinken, und fällt womöglich von der Schaukel. Und das könnte ich mir nie verzeihen.
Mein Handy klingelt, es ist die Melodie von »In the summertime«, was bedeutet, dass Ellen sich meldet. Ich schaue zu Ida, die gerade mit leuchtenden Augen Sophie etwas erzählt, während Marie auf der Schaukel neben ihr durch die Luft segelt. Dann nehme ich den Anruf an und drehe mich ein bisschen weg von dem Mülleimer, in den ein Mann gerade zwei Bananenschalen wirft. Ich mag es nicht, wenn mir Leute beim Telefonieren zuhören.
»Ellen?«, frage ich, weil ich nur ein Schluchzen höre. Ich presse das Handy fester an mein Ohr, als ob ich sie so besser verstehen könnte.
»Ellen, was ist denn los? Bleib ruhig. Bitte!«
Es dauert eine Weile, bis ich ihr Gestammel richtig verstanden habe: Max hat sie verlassen, einfach so aus dem Nichts, ohne Vorwarnung. Ellen wurde noch nie von jemandem verlassen, im Gegensatz zu mir, deshalb kann ich mir vorstellen, wie grauenhaft sie sich fühlen muss, vor allem, weil sie bis über beide Ohren verliebt war. Diego fällt mir ein, der mir heute zum ersten Mal gesagt hat, dass er mich liebt. Mir wird ganz heiß, wenn ich daran denke, und ich merke, wie der Gedanke mein Gesicht zum Strahlen bringt. Beschämt gebe ich mir doppelt so viel Mühe, Ellen zu trösten. Ich verscheuche ein paar Wespen, rutsche noch ein bisschen weiter weg vom Mülleimer und versuche, Sinn in ihr Gestammel zu bringen, das immer wieder von Schluchzern unterbrochen wird. Max ist über das lange Wochenende mit einer Studienkollegin weggefahren, die wie er begeisterte Mountainbikerin ist. Ellen hasst Biken und fühlt sich doppelt betrogen.
Ich kann sie so gut verstehen! Während sie sich die Nase putzt, habe ich eine Idee.
»Ellen, ich bin das Wochenende bei Ida, aber komm doch her zu uns, das wird dich aufheitern! Ich gebe dir einen Schokoknusperkaramelleisbecher aus, dann erzählst du mir alles haarklein, während Ida ihren Mittagsschlaf macht, und später schauen wir uns Pretty Woman an.« Das machen wir immer, wenn eine von uns – also bisher immer ich – Liebeskummer hat.
Ellen schnieft und versucht weiterzureden, aber ihre Stimme ist so belegt, dass ich dreimal nachfragen muss, um sicherzugehen. Sie sei außerstande, das Haus zu verlassen, wir müssten zu ihr kommen.
Außergewöhnliche Umstände verlangen außergewöhnliche Entscheidungen und ich zögere nicht länger. Ida wird dann heute eben nicht in ihrem Bettchen, sondern im Kinderwagen schlafen, das wird sie
Weitere Kostenlose Bücher