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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Aber es war nicht so abgelaufen, wie er es sich vorher ausgemalt hatte. Seine Mutter hatte einen hysterischen Zusammenbruch gehabt, als sie mit den Medikamenten wiederkam und ihn dabei vorgefunden hatte, wie er sich abmühte, Stefanie zu retten.
    Und er? Er war von da an kein Schatten mehr. Er war ein Nichts. Seine Mutter sprach bis zur Beerdigung kein einziges Wort mit ihm und ging ihm aus dem Weg. Und seinen Vater ertappte er ein paarmal, wie er ihn merkwürdig von der Seite her ansah, wenn er dachte, er würde es nicht merken. Niemand hörte ihm zu, niemand glaubte ihm, dass er es nicht getan hatte. Sie gaben ihm die Schuld an ihrem Tod und es war ihnen egal, wie es dazu gekommen war. Direkt nach der Beerdigung von Stefanie auf dem Weg nach Hause hatte seine Mutter das Auto voller Absicht gegen eine alte Platane gefahren. Seine Eltern waren noch am Unfallort gestorben.
    Er saß auf dem Rücksitz und überlebte. Ihm gefiel zwar der Gedanke, dass er der Rache seiner Mutter entkommen war und Gott auch für ihn ein Wunder übrig gehabt hatte, doch er fand es ungerecht, dass er jetzt ganz allein war. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt.
    Er hatte gehofft, er könnte bei Frau Braun bleiben, aber sie wurde vom Jugendamt aufgrund ihres Alters abgelehnt und ihre Kinder waren auch dagegen. Er war in seiner ersten Pflegefamilie gelandet, in der er nur für ein paar Monate blieb, bevor er weitergereicht wurde, zur nächsten Familie und wieder zur nächsten Familie. Man behielt ihn nie länger als ein Jahr, weil er Spaß daran gefunden hatte, ein Problem zu sein. Als Problem wurde man ernst genommen. Ein Problem war nie nur ein Schatten.
    Aber nachdem er Jo kennengelernt hatte, war er nicht mehr so sicher, ob er so weiterleben wollte. Er wünschte sich, länger als ein Jahr in Jos Nähe zu bleiben. Mit ihm plante er einen Neuanfang und dazu war es wichtig, nicht mehr an Stefanie erinnert zu werden. Und deshalb kam das Schwimmbad nicht infrage.
    Zum ersten Mal seit Jahren wollte er jemandem gefallen, wünschte sich zugleich aber auch, dass Jo zu ihm aufsah und Angst vor ihm hatte. Deshalb hatte er ihn anfangs übel gequält. Hatte ihm Salz ins Essen und Juckpulver ins Bett gestreut, hatte erst auf seine Unterhosen, dann, als er gemerkt hatte, wie wichtig Jo seine Hausaufgaben waren, auch darauf gepinkelt. Aber Jo hatte geschwiegen, immer nur geschwiegen, was ihn nur noch mehr geärgert hatte. Zuerst hielt er den Jüngeren für feige, bis ihm klar wurde, dass Jo einfach anders tickte als er.
    Jo interessierten seine Machtspielchen nicht, jede Art von Quälerei perlte an ihm ab, ohne ihn irgendwie zu berühren. In Jo existierte etwas, das ihn unantastbar machte, etwas Heiles, das von innen nach außen strahlte und nicht nur ihn, den Älteren, sondern auch ihre Pflegeeltern ständig gegen ihn aufbrachte. Nachdem er kapiert hatte, dass es ihm niemals gelingen würde, dieses Besondere zu zerstören, wollte er es fassen, wollte es aus Jo heraus und dann in seinen Besitz bringen. Denn tief in seinem Bauch fühlte er, wie frei Jo war. Frei von all diesem Scheiß, der ihn, den Älteren, antrieb, der ihn dazu zwang, Dinge zu tun, von denen er genau wusste, dass sie falsch waren.
    Eines Nachts war er mitten aus einem Traum aufgewacht und konnte sich ganz genau daran erinnern, was nur sehr selten vorkam. Er hatte geträumt, dass er und Jo eng aneinandergeschmiegt im Bauch seiner Mutter lagen und sich leise unterhielten, lachten, sich streichelten.
    Der Traum war ihm peinlich, aber trotzdem begann er danach, immer öfter darüber nachzudenken, wie anders alles gekommen wäre, wenn er zusammen mit Jo neun Monate im Bauch seiner Mutter verbracht hätte. Dann fing er an, sich zu wünschen, er könnte neben Jo unter einer Decke liegen, nur er und Jo warm eingehüllt gegen den Rest der Welt. Natürlich hätte er jeden zu Brei geschlagen, der so etwas auch nur anzudeuten gewagt hätte.
    Ihm war klar, dass es nicht das gute Aussehen war, was Jo so unberührbar machte, denn dieser Idiot hatte nicht mal eine Ahnung davon, wie schön er war. Jo war zwar erst elf Jahre alt, aber er wirkte wie vierzehn. Diese dichten schwarzen Haare, die blaugrünen Augen und vor allem der vom Rudern gestählte Körper. Muskeln unter einer Haut in der Farbe von Haselnüssen, eine Haut, die nie auch nur von einem winzigen Pickel verschandelt wurde.
    Der Ältere seufzte und sah wieder hoch zu Jo, der gerade auf einem Bein hüpfte, um das Wasser aus seinem Ohr zu

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