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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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erwartungsvollen Gesichtern dabei zu, wie das Publikum im Theater, bevor sich der Vorhang zum ersten Mal hebt. Der Unterschied ist nur, dass wir alle zwar das Stück kennen, aber trotzdem nicht wissen, was genau hier eigentlich gespielt wird.

Die Bambusprinzessin verwandelt sich
    Ida wachte auf, weil sie plötzlich hin und her geschleudert wurde. Das leise Brummen hatte aufgehört, dann ertönte ein Knall.
    »Papa!«, folgerte Ida messerscharf, denn so hörte es sich an, wenn der seine Autotür zuwarf. »Papas Auto!«
    Über ihrem Kopf erklang ein metallisches Klong-Klong, ein leises Quietschen und dann wurde sie in strahlende Helle getaucht. Sie schloss ihre Augen, weil sie so geblendet war. Sie hörte seine Stimme. Kein Papa. Das war der Mann, der kein Papa war, der Mann, der ihr Emil gebracht hatte, der Polizist.
    »Na, mein Goldschatz?« Der Mann, der kein Papa war, lachte. »Du brauchst keine Angst zu haben. Für Goldschätze bezahlt man sehr viel Geld und für dich bezahlen deine Eltern sicher ganz besonders schnell. Denn schließlich bist du ja ein braves Mädchen. Und jeder liebt brave Mädchen.« Er lachte wieder.
    Ida erkannte dieses Lachen sofort und ihr Herz machte einen Sprung vor Schreck. Es war falsch. So lachte kein Papa, so lachten nur Ungeheuer, die sich als Papa verkleidet hatten, um schreckliche Dinge zu tun. In Wirklichkeit war der Mann ein Oni, ein einäugiger Menschenfresser aus den japanischen Märchen, der auf die Erde gekommen war, um sie holen. Denn sie war kein braves Mädchen gewesen. Sie war ein böses Mädchen. Sie hatte Verstecken gespielt, ohne Tante Lu Bescheid zu sagen.
    »Oni!«, flüsterte sie, »Oni!« Was konnte sie jetzt tun?
    »Omi? Was redest du denn nur für einen Mist? Hier gibt es keine Omi! Halt deinen Mund« Plötzlich klang der Oni furchtbar böse, so wie Papa, wenn sie nachts mit ihm Verstecken spielen wollte. Aber ihr Papa war kein Oni. Und dieser Oni war kein Papa.
    Oni, Oni, Oni das Wort raste durch ihren kleinen Körper und befeuerte den Rhythmus ihres immer schneller werdenden Herzschlages, Onionioni. Menschenfresser. Menschenfresser aßen Kinder.
    Der Oni packte sie und warf sie über seine Schulter wie einen Sack Reis. Oh ja, er würde sie fressen, sie in einem Stück verschlingen.
    Die Fesseln schnitten schmerzhaft in ihre Arme und Beine. Seine Schulterknochen drückten tief in ihren Bauch, in dem es rumorte und brodelte, als hätte sie Brausepulver verschluckt. In ihrem Hals wurde es komisch, so eng, und dann wusste sie, was das war. Das gleiche Gefühl hatte sie nach dem Karussellfahren gehabt. Ihr war schlecht. Sehr schlecht und der Druck auf ihren Bauch, der Druck auf die harten Knochen des Oni verschärfte das noch.
    Wie würde er sie verschlingen? In einem Stück oder doch langsam, erst die Beine, dann die Arme? Würde er sie roh essen oder sie in den Ofen stoßen? Was würde er tun? Plötzlich umklammerte ein unsichtbarer Oni ihre Kehle, würgte sie, die Brause aus ihrem Bauch explodierte hoch in ihren Mund und dann musste sie sich übergeben.
    Sie spie alles, was in ihrem Bauch war, auf die Schulter und den Oberkörper des Menschenfressers, und schon während das geschah, wusste sie, dass kein Menschenfresser das mochte. Das mochte niemand, nicht einmal die Mamas.
    Der Oni blieb sofort stehen und warf sie auf den Boden, der mit hartem Gras bewachsen war. Das stachelige Gras bohrte sich in ihre Haut, aber sie bemerkte es kaum, weil es sie noch würgte, immerzu hielt jemand ihre Kehle fest im Griff.
    Der Oni stand über ihr, wie ein Riese.
    Ida rollte sich auf den Bauch und presste die Augen fest zusammen.
    »Hör sofort auf damit!«, zischte der Oni und Ida versuchte es wirklich, aber sie schaffte es nicht. Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie schnappte nach Luft. Ihr Bauch war leer, doch ihr Hals wurde immer noch zusammengequetscht. Sie versuchte zu schlucken, aber das ging so schwer. Ihre Kehle war ganz trocken. Verzweifelt presste Ida ihr Gesicht gegen das Gras und mit einem Mal fühlte es sich gar nicht mehr stachelig an, sondern ganz weich. Wie ihre Bettdecke zu Hause.
    Ida öffnete die Augen und da waren sie plötzlich. Blätter. Grüne Blätter, Bambusblätter! Wunderschöne schmale grüne Blätter. Bambus.
    In ihrem Bauch kehrte Ruhe ein. Auch ihr Herz schlug wieder langsamer. Alles war gut und sie brauchte keine Angst mehr zu haben. Der Oni war deshalb so wütend, weil er sie gar nicht fressen konnte. Sie hatte es nur vergessen, so wie es

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