Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
durch. Ruf die verfluchte Schwester, nicht die alte, sondern die junge mit den tollen Titten. Sag ihr, ich brauch eine Spritze. Egal was für eine Spritze, Hauptsache, sie reibt mir ein paar Minuten lang den Allerwertesten zum Desinfizieren mit einem Wattebausch ein, bevor sie zusticht.«
Cowart sah noch vor sich, wie er die Schwester holte, der alte Mann seine Injektion bekam und mit einem irren Grinsen hinüberdämmerte.
Aber ich habe gewonnen, Vernon. Ich hab’s geschafft, dachte er und warf einen Blick auf die Morgenausgabe, die er sich unter den Arm geklemmt hatte. Sein Bild und der Artikel prangten auf der Titelseite: VERFASSER DER TODESTRAKT-REPORTAGE MIT PULITZER GEEHRT.
Bis in die frühen Morgenstunden hinein starrte er, zwischen Euphorie und Zweifel hin- und hergerissen, in den endlosen schwarzen Himmel, bis die Droge des Erfolgs über die diffusen Ängste siegte und er im Glücksrausch endlich einschlief.
Zwei Wochen später – Cowart schwamm immer noch auf der Woge seines Hochgefühls – erreichte die Redaktion eine zweite Meldung.
Demnach hatte der Gouverneur den Hinrichtungsbefehl für Blair Sullivan unterschrieben. Der Zeitpunkt für seine Hinrichtung durch den elektrischen Stuhl war auf genau eine Woche nach der Unterzeichnung, um 24:00 Uhr, festgesetzt.
Es wurde darüber spekuliert, ob Sullivan sich doch noch vor dem Stuhl retten würde, indem er Berufung einlegte, was ihm, wie der Gouverneur bei der Unterzeichnung selbst einräumte, jederzeit offenstand. Doch der Häftling hüllte sich in Schweigen.
Ein Tag verging, der zweite, dritte und vierte. Am Morgen des fünften Tages seit Unterzeichnung des Hinrichtungsbefehls klingelte Cowarts Telefon. Gespannt griff er nach dem Hörer.
Es war Sergeant Rogers aus der Haftanstalt.
»Cowart? Sind Sie das, Kumpel?«
»Ja, Sergeant. Ich hab mit Ihrem Anruf gerechnet.«
»Tja, jetzt wird’s ernst, nicht wahr?«
Cowart verstand dies als eine rhetorische Frage. »Und Sullivan?«
»Mann, waren Sie schon mal im Zoo in einem Reptilienhaus? Und haben diese Schlagen hinter den Glasscheiben beobachtet? Die bewegen sich kaum, aber ihr Blick schießt in alle Richtungen, die haben alles im Visier. So müssen Sie sich Sully vorstellen. Es ist unsere Aufgabe, ihn zu bewachen, aber er hat diesen Schlangenblick, als rechnete er mit irgendetwas. So was hab ich noch bei keinem Kandidaten kurz vor der Vollstreckung gesehen.«
»Was wäre normal?«
»Normalerweise wimmelt es hier von Anwälten, Priestern und Demonstranten. Alle hängen ständig am Telefon, rennen zu diesem oder jenem Richter, eine Besprechung jagt die andere. Und dann kommt der Tag, und es ist so weit. Also, eins kann ich Ihnen sagen: Wenn der Staat einen schließlich brutzelt, muss man es nicht allein durchstehen. Es kommen Angehörige und Gutmenschen und alle möglichen Leute, die so lange über Gott und Gerechtigkeit und alles Mögliche reden, bis einem die Ohren abfallen. Das ist normal. Das hier ist nicht normal. Für Sully ist niemand da, weder draußen noch drinnen. Er ist einfach allein. Ich rechne jeden Moment damit, dass der Bursche platzt, so angespannt und verschlossen, wie der Kerl ist.«
»Wird er Berufung einlegen?«
»Er sagt nein.«
»Und was tippen Sie?«
»Der steht zu seinem Wort.«
»Und was meinen die anderen?«
»Na ja, die meisten glauben, er knickt doch noch ein, vielleicht am letzten Tag, und bittet irgendjemanden, doch noch schnell was einzureichen – die Vollstreckung wird ausgesetzt, und er hat noch zehn Jahre, in denen er in schöner Regelmäßigkeit seine Berufungen einreicht. Aber jetzt läuft eine Wette – falls er sich doch grillen lässt, springt für die Betreffenden ein Fünfziger raus. Ich hab selbst darauf gesetzt. Der Vertreter des Gouverneurs sieht es genauso. Vor allem, sagt er, wollten sie, dass der Mann endlich Farbe bekennt. Aber der Kerl macht’s ganz schön spannend, das muss man ihm lassen.«
»Mein Gott.«
»Kann man wohl sagen. Mit dem hat er es in letzter Zeit auch mächtig.«
»Und wie weit sind die Vorbereitungen?«
»Na ja, der Stuhl funktioniert einwandfrei, haben wir heute früh getestet. Befördert den Kerl in null Komma nichts ins Jenseits. Jedenfalls kommt er vierundzwanzig Stunden vorher in Einzelhaft. Er darf sich eine Mahlzeit bestellen, das ist Tradition. Erst wenige Stunden vorher nehmen wir uns den Mann vor, scheren ihm die Haare und so. Bis dahin versuchen wir, so viel Normalität wie möglich aufrechtzuerhalten. Die
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