Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
»Holen Sie Ihren Notizblock raus. Und dieses Aufnahmegerät. Wird Zeit, dass wir uns ein bisschen eingehender mit dem Tod beschäftigen. Sagte ich Ihnen ja bereits. Mein Vermächtnis, das Testament des alten Sully.«
Während Cowart tat, was Sully sagte, setzte der Todeskandidat sich wieder auf die Liege. Er griff zu seiner Zigarette und genoss jeden einzelnen tiefen Zug.
»Sind Sie so weit, Cowart?«
Cowart nickte.
»Gut. Also, wo fangen wir an? Na ja, logischerweise mit Nummer eins. Cowart, wie viele Morde haben sie mir angehängt?«
»Zwölf. Offiziell.«
»Richtig. Aber wir müssen ein bisschen genauer unterscheiden. Schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt haben sie mich wegen dieses reizenden Pärchens in Miami, dieses süßen kleinen Mädchens und seines Freundes. Das ist sozusagen amtlich. Und dann habe ich noch diese zehn anderen gestanden. Aus reinem Entgegenkommen, schätze ich mal. Die Geschichten habe ich schon den Detectives erzählt, also können wir uns die Einzelheiten sparen. Und dann wäre da noch dieses kleine Mädchen in Pachoula – Nummer dreizehn, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Also, die lassen wir für den Augenblick beiseite. Gehen wir einfach zu Nummer zwölf zurück und rollen es von da auf, einverstanden?«
»Einverstanden. Nummer zwölf.«
Er stieß ein ironisches Lachen aus. »Also, das ist reichlich untertrieben. So was von untertrieben.«
»Wie viele?«
Er grinste. »Ich habe hier gesessen und versucht, auf die Gesamtsumme zu kommen. Ich hab addiert und addiert. Wenn schon, dann präzise, nicht dass es hinterher große Diskussionen gibt.«
»Wie viele?«
»Wie wär’s mit neununddreißig, Cowart?«
Der Verurteilte lehnte sich nach hinten und schaukelte ein wenig vor und zurück. Er zog die Beine an und legte die Arme um die Knie.
»Kann natürlich nicht ausschließen, dass ich doch ein, zwei vergessen habe. Soll vorkommen. Manche Morde sind gesichtslos, ohne dieses gewisse Etwas, das sich einem ins Gedächtnis einbrennt.«
Cowart schwieg.
»Beginnen wir mit einer kleinen alten Frau nicht weit von New Orleans. Wohnte allein in einem Seniorenheim. In einer Kleinstadt namens Jefferson. Ich sah sie eines Nachmittags, wie sie allein nach Hause ging, einfach so, genoss den schönen Tag, ahnungslos und unbeschwert. Ich folgte ihr. Die Straße, in der sie wohnte, hieß Lowell Place und die alte Dame, wenn ich mich recht entsinne, Eugenia Mae Phillips. Ich gebe mir redlich Mühe, mir diese Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, Cowart, denn wenn Sie mit Ihren Recherchen anfangen, brauchen Sie schließlich ein paar Anhaltspunkte. Das muss vor ungefähr fünf Jahren gewesen sein, im September. Nach Einbruch der Dunkelheit habe ich die Schiebetür an der Rückseite aufgehebelt. Ihre Wohnung war im Erdgeschoss. Hatte nicht mal ein Bolzenschloss. Kein Außenlicht, kein gar nichts. Wieso tut sich jemand so eine Wohnung an? Geradezu eine Einladung an jeden Vergewaltiger, Einbrecher oder Mörder, der auf sich hält, weil es ein Kinderspiel ist, da reinzukommen. Wenigstens hätte sie sich einen bissigen schwarzen Hund halten sollen. Hat sie aber nicht. Nur einen Sittich. Einen gelben in einem Käfig. Den hab ich auch erledigt. Und das war’s dann eigentlich. Natürlich hab ich mir vorher ein bisschen Spaß mit ihr gegönnt. Sie hatte solche Angst, dass sie kaum einen Muckser von sich gegeben hat, als ich ihr das Kissen aufs Gesicht drückte. In derselben Gegend hab ich mir dann noch fünf Leute vorgenommen. Nur Vergewaltigung und Raub. Sie war die Einzige, die dran glauben musste. Dann bin ich weitergezogen. Sie dürfen nur keine Wurzeln schlagen, wissen Sie, dann passiert Ihnen auch nichts.«
Sullivan schwieg. »Das sollten Sie sich merken, Cowart. Immer in Bewegung bleiben. Nie versacken und Wurzeln schlagen. Ziehst du weiter, kriegt dich die Polizei nicht zu fassen. Sie werden’s nicht glauben, aber die haben mich wegen Landstreicherei, unbefugten Betretens, Verdacht auf Einbruch und allen möglichen Mists festgenommen. Ich hab ein paar Nächte im Knast zugebracht und einmal vier Wochen in einem Bezirkskittchen in Dothan, Alabama. Das war vielleicht ein Drecksloch, sag ich Ihnen. Kellerasseln und Ratten und ein Gestank nach Scheiße, Mann! Aber keiner hat gemerkt, was ich wirklich war. Wie denn auch? Ich war ein Niemand …«
Er grinste. »Dachten sie jedenfalls.«
Er überlegte einen Moment und starrte durch die Gitterstäbe. »Das hat sich natürlich geändert, nicht wahr?
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