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Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Titel: Der Sumpf: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ein Neuling. Vor gerade mal neun Monaten war sie noch Streife gefahren, und vor drei Monaten hatte sie sich im Einbruchsdezernat die ersten Sporen verdient. Dank ihrer Fähigkeiten und eines Gleichstellungsverfahrens für Frauen und Minderheiten in ihrem Revier hatte man sie erneut befördert. Sie war von Ehrgeiz getrieben, platzte vor Energie und hegte die feste Überzeugung, dass sie ihre mangelnde Erfahrung durch harte Arbeit wettmachen konnte. Seit ihrer einsamen Kindheit in den Upper Keys war dies ihre Lösung für fast alle Probleme gewesen. Ihr Vater war Detective bei der Polizei von Chicago gewesen und in Ausübung seiner Pflicht ums Leben gekommen. Sie hatte über die Redewendung »in Ausübung seiner Pflicht gestorben« nachgedacht: welch dürre Worte, die, wie sie längst begriffen hatte, einer momentanen Kurzschlusshandlung oder einfach nur dem Pech einen militärischen Nimbus verliehen. Damit sollte suggeriert werden, dass er mit seinem Tod etwas Wichtiges bewirkt hatte, was nicht der Fall war. Ihr Vater hatte im Dezernat für Kleinkriminalität gearbeitet, wo er es normalerweise mit Trickbetrügern, kleinen Gaunern und Schwindlern zu tun hatte. So gut er konnte, hatte er sich der nie endenden Flut von Pensionären und Mittelschichtlern entgegengestellt, die mit einer bizarren Idee nach der anderen reich zu werden hofften. Eines Morgens hatte er in einem dubiosen Unternehmen eine Razzia durchgeführt: zwanzig Männer und Frauen, die in Reih und Glied an ihren Telefonen saßen und Leute zu einer Investition in Gold beschwatzten. Weder das Konzept noch der Polizeieinsatz waren ungewöhnlich, sondern sowohl für die Kriminellen als auch für die Polizisten Routine. Das Einzige, was aus dem Rahmen fiel, war ein junger Heißsporn unter den Telefonisten, der heimlich eine Schusswaffe bei sich trug, nicht vorbestraft war und keine Ahnung hatte, dass die Strafjustiz sein Vergehen als Kavaliersdelikt behandeln würde. Es war ein einziger Schuss gefallen, der durch einen billigen Raumteiler aus Faserplatte drang und dahinter ihren Vater in die Brust traf, als er gerade dabei war, die falschen Namen der Festgenommenen zu notieren.
    Sinnlos, dachte sie. Vollkommen sinnlos.
    Er war mit dem Stift in der Hand gestorben.
    Sie war damals zehn Jahre alt gewesen, und sie erinnerte sich an einen stämmigen Mann, der mit ihr, als sie klein war, ständig herumgetollt und sie später zu Spielen der White Sox in den Comiskey Park mitgenommen hatte. Er hatte ihr Werfen und Fangen beigebracht und den Respekt vor körperlicher Stärke. Es war ein vollkommen normales Leben gewesen. Sie hatten in einem bescheidenen Backsteinhaus gewohnt, sie und ihre älteren Brüder waren an die nächstgelegenen Schulen gegangen. Die kurzläufige Pistole, die ihr Vater im Dienst getragen hatte, war ihr weniger im Gedächtnis haften geblieben als die auffälligen Jacketts und schrill bunten Krawatten, die er so gerne trug. Ein einziges Foto von ihnen beiden hatte sie behalten: Es hatte geschneit, und sie standen draußen neben einem Schneemann, den sie zusammen gebaut hatten und den sie beide wie einen Freund umarmten. Der Schnappschuss war Anfang April entstanden, als der Mittlere Westen sich aus dem eisigen Griff des Winters zu lösen versuchte und zur Strafe einen letzten Kälteeinbruch bekam. Der Schneemann hatte eine Baseballkappe auf dem Kopf, Steine als Augen, abgebrochene Äste als Arme. Sie hatten ihm einen Schal umgebunden und mit dem Finger ein dümmliches Grinsen verpasst. Es war ein großartiger Schneemann gewesen, beinahe lebensecht. Natürlich war er geschmolzen. Mit dem erneuten Wetterumschwung verschwand er in wenigen Tagen.
    Ein Jahr nach seinem Tod waren sie in die Keys gezogen.
    Eigentlich hatten sie damals nach Miami übersiedeln wollen, doch als ihre Mutter eine Stelle als Managerin eines Restaurants an einem beliebten Hafen für Sportangler bekam, waren sie weiter südlich gelandet. Ihr Stiefvater stammte von dort.
    Sie hatte ihn einigermaßen gemocht. Auch wenn sie nie so recht warm geworden waren, hatte er ihr bereitwillig alles beigebracht, was er vom Angeln verstand. Wenn sie an ihn dachte, erinnerte sie sich an die sonnengebräunten Arme mit den weißen Flecken, den Vorboten von Krebs, die seine Haut übersäten. Sie hatte diese Arme immer berühren wollen, es aber nie getan. Unweit von Whale Harbor fuhr er seine Kundschaft immer noch mit dem Charterboot hinaus, und sein vierzehn Meter langes Fischerboot hatte er »Die

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