Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Schrank, unter dem Bett, hinter den Gardinen nach und überzeugte sich als Letztes davon, dass das Fenster fest verschlossen war. Es kostete sie Überwindung, nicht den Neunmillimeter-Revolver aus der Handtasche zu holen – für alle Fälle. Seit dem Besuch in Fergusons Wohnung hatte sie eine dumpfe Angst verfolgt. Mit zunehmender Dunkelheit erfasste sie ein Gefühl der Enge, als seien ihr die Kleider ein paar Nummern zu klein.
Wer war dieser Mann?
Sie griff in ihren kleinen Reisekoffer und kramte ihr Briefpapier mit dem Lavendelduft hervor, auf dem sie ihre nie verschickten Briefe an ihre Mutter verfasste. Dann schaltete sie die kleine Lampe auf einem winzigen Tisch in der Zimmerecke an, zog sich einen Stuhl heran und schrieb.
Liebe Mom. Es ist etwas Seltsames passiert. Sie starrte auf die Worte am oberen Rand des Blatts. Was hat er gesagt?, überlegte sie. Er hat gesagt, dass er sich dort sicher fühlte. Sicher wovor?
Sie lehnte sich zurück und kaute an ihrem Stift wie ein Student auf der Suche nach der richtigen Antwort in einer Klausur. Sie erinnerte sich, wie sie damals in einen Raum für Gegenüberstellungen geführt worden war, obwohl sie immer wieder versichert hatte, dass sie die beiden Männer, die über sie hergefallen waren, unmöglich wiedererkennen könne. Das Licht war gedimmt, und sie stand zwischen den beiden Detectives, an deren Namen sie sich nicht erinnerte. Wie gebannt hatte sie die Männer angestarrt, die jeweils zu zweit hereinkamen, sich an der Wand aufstellten und auf Kommando nach links und rechts drehten, damit das Opfer sie auch im Profil sehen konnte. Sie wusste noch, wie die Polizisten ihr zuflüsterten, sie solle sich Zeit lassen, bevor sie fragten: Kommt Ihnen einer von denen bekannt vor? Doch sie hatte niemanden identifizieren können, sondern zur Enttäuschung der Detectives nur den Kopf geschüttelt. Den Gesichtsausdruck der Beamten, als sie einen stummen Blick miteinander tauschten, würde sie nie vergessen, und in diesem Moment hatte sie beschlossen, nie wieder hilflos zu sein. Nie wieder jemanden ungeschoren davonkommen zu lassen, nachdem er einen Menschen so gequält hatte.
Sie starrte auf den Brief, den sie nicht abschicken würde, und schrieb: Ich bin einem Mann begegnet, der den Tod verkörpert.
Das fasst es zusammen, dachte sie und ging noch einmal die ganzen Gefühle durch, die Ferguson ihr gegenüber gezeigt hatte: Wut, Spott, Arroganz. Angst – aber nur in Grenzen –, als er noch nicht wusste, weshalb ich gekommen war. Doch sobald es ihm dämmerte, war die Angst verflogen. Wieso? Weil er nichts zu befürchten hatte. Und warum? Weil ich aus dem falschen Grund bei ihm war.
Sie legte den Stift neben das Papier und stand auf.
Was wäre der richtige Grund gewesen?
Shaeffer ging zum Doppelbett und setzte sich hin. Sie zog die Knie unters Kinn und schlang die Arme um die Beine. Eine Weile wippte sie vor und zurück, während sie fieberhaft überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. Schließlich gebot sie ihren Gedanken Einhalt, setzte sich aufrecht hin und griff nach dem Telefon.
Nach einigen Versuchen hatte sie Michael Weiss ausfindig gemacht und bekam ihn über die Gefängnisdirektion in Starke ans andere Ende der Leitung.
»Andy? Bist du das? Wo steckst du die ganze Zeit?«
»Mike, ich bin in Newark, New Jersey.«
»New Jersey, du liebe Zeit, was hast du denn in New Jersey verloren? Ich denke, du rückst Cowart in Miami auf die Pelle. Ist der in New Jersey?«
»Nein, aber …«
»Wo zum Teufel dann?«
»Nordflorida, Pachoula, aber …«
»Wieso bist du nicht da?«
»Mike, hör mir zu, ich kann dir das erklären.«
»Stichhaltig, kann ich nur hoffen. Und noch etwas: Du solltest mich auf dem Laufenden halten, stündlich, minütlich. Ich leite diese Ermittlungen, schon vergessen?«
»Mike, hör mir zu, okay? Ich bin hergekommen, um Robert Earl Ferguson zu befragen.«
»Den Kerl, dessen Hintern Cowart vor dem Stuhl gerettet hat?«
»Ja, und der in der Zelle neben Sullivan gesessen hat.«
»Bis zu dem Moment, wo er durch die Gitterstäbe gegriffen hat, um ihn zu erwürgen?«
»Ja.«
»Und?«
»Es war …« Sie suchte nach den passenden Worten. »Na ja, seltsam.«
Es herrschte Schweigen, bevor ihr Vorgesetzter fragte: »Inwiefern?«
»Kann ich noch nicht genau sagen.«
Sie hörte einen Seufzer. »Und was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Na ja, ich hab noch mal über alles nachgedacht, Mike. Also, Sullivan und Cowart sind wie zwei Schenkel
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