Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
zu dem Schluss, dass sie noch nicht so weit war, Robert Earl Ferguson abzuhaken.
Auch am nächsten Morgen hielt der Nieselregen an, und das nasskalte Wetter kroch ihr in die Knochen. Der graue Himmel schien nahtlos in den schmutzig braunen Raritan River am Campus mit den efeubewachsenen Klinkergebäuden der Rutgers University überzugehen. Sie vergrub sich tiefer in ihren Trenchcoat und überquerte den Parkplatz.
Wenig später fand sie sich in der schwerfälligen Bürokratie der Universität wieder, die nicht duldete, dass man im Dschungel der Zuständigkeiten auch nur eine Station übersprang. Nach ihrer Ankunft im Institut für Kriminalwissenschaften hatte sie einer Sekretärin erklärt, was sie herführte, und war an ein zentrales Verwaltungsgebäude zurückverwiesen worden. Dort hatte sie ein Dekan erst einmal ausführlich über die Vertraulichkeit studentischer Daten belehrt und ihr schließlich, als sein Redefluss endlich versiegte, die Genehmigung erteilt, mit den Professoren zu sprechen, zu denen sie wollte. Die Suche nach den drei Dozenten hatte sich ebenfalls als eine Herausforderung erwiesen: Deren Dienststunden schienen dem Zufallsprinzip überlassen, und die Privatnummern wurden nicht herausgegeben. Ihre Versuche, sich mit ihrer Dienstmarke Aufmerksamkeit zu verschaffen, machten nur wenig Eindruck.
So war es bereits Mittag, als sie den ersten ihrer Gesprächspartner während seines Lunches aufspürte. Sein Spezialgebiet waren forensische Verfahren. Der schmächtige Mann mit drahtigem Haar trug ein Sportsakko zur Khakihose und hatte die irritierende Angewohnheit, während des Gesprächs an ihr vorbei in die Luft zu schauen. Sie hatte nur ein konkretes Anliegen, nämlich die Frage, ob Robert Earl Ferguson zum Zeitpunkt des Doppelmords in den Keys gewesen sein könnte, und nach allem, was sie über den Gefängniswärter erfahren hatte, kam sie sich ein wenig albern vor, die entsprechenden Fragen zu stellen. Doch immerhin war es ein Anfang.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen kann«, erwiderte der Professor, während er sich mit einem matschigen, grünen Salat abquälte. »Also, Mr. Ferguson ist ein überdurchschnittlicher Student. Nicht der beste, aber ziemlich gut. Kein Einser-Kandidat, sagen wir zwei plus. Auf jeden Fall leistungsstark. Aber das war natürlich zu erwarten, da er den anderen Studenten einiges an praktischer Erfahrung voraus hat – kleiner Scherz am Rande. Hat eine natürliche Begabung für Verfahrensweisen, ernsthaft an Kriminalwissenschaft interessiert. Zuverlässig. Nichts zu klagen.«
»Auch was seine Teilnahme an den Seminaren betrifft?«
»Ist immer da.«
»Und an den fraglichen Tagen?«
»In der Woche fand der Kurs zwei Mal statt. Nur siebenundzwanzig Studenten. Da kann sich keiner verstecken oder mal eben seinen Mitbewohner vorbeischicken, um die Aufgaben für ihn abzuholen. Dienstags und donnerstags.«
»Und?«
»Haben wir gleich, hier in meinem Notizbuch.«
Der Professor ging mit einem dünnen Finger eine Kolumne mit Namen durch. »Ah. Perfekt.«
»Dann war er da?«
»Kein einziges Mal gefehlt. Jedenfalls diesen Monat nicht. Im Lauf des Jahres hat er ein paar Stunden verpasst, aber die hab ich als entschuldigt vermerkt.«
»Entschuldigt?«
»Das heißt, er hat mir einen triftigen Grund dafür genannt und hat sich die Aufgaben persönlich abgeholt, das Versäumte nachgeholt. Das zeugt schon von Pflichtbewusstsein und Leistungswillen heutzutage.«
Der Professor klappte sein Büchlein zu und widmete sich wieder seinem Teller mit Grünzeug und Trockenfrüchten.
Den zweiten Dozenten fand Shaeffer in einem Flur, der von Studenten, die in verschiedene Hörsäle strömten, geradezu überschwemmt war. Dieser Mann hielt eine Überblicksvorlesung über amerikanische Kriminalgeschichte, die Hunderte von Studenten besuchten. Er hatte eine Aktentasche dabei und einen Stapel Bücher unterm Arm. Ob Ferguson an bestimmten Tagen anwesend gewesen war oder nicht, konnte er aus dem Gedächtnis nicht sagen, doch er zeigte der Ermittlerin eine Teilnehmerliste, auf der klar und deutlich Fergusons Unterschrift stand.
Es wurde allmählich Nachmittag, in den Fluren der Lehranstalt herrschte ein unangenehmes, trübes Licht, und Shaeffer beschlichen Frust und Ärger. Auch wenn sie sich nicht allzu viel Hoffnung gemacht hatte, für den Zeitpunkt der Morde sein Fehlen an der Universität nachweisen zu können, bereitete es ihr schlechte Laune, kostbare Zeit zu vergeuden. Sie konnte
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