Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
es in eins unserer klar definierten Schubfächer passt, dass es demselben Muster wie hundert andere entspricht. So haben wir es gelernt, das ist unsere Erwartung. Wir ziehen also los und machen uns auf die Suche nach den üblichen Verdächtigen. Womit wir in neunundneunzig von hundert Fällen ja auch richtigliegen. Wir stellen den Tatort auf den Kopf, um ein einziges Haar, einen einzigen Blutspritzer, die eine oder andere Faser und den Richtigen auf unserer Hitliste zu finden. Die Alternative – dass jemand auf der Bildfläche erscheint, den mit dem Opfer und seiner Umgebung nichts anderes verbindet als die schiere Mordlust – ist einfach zu erschreckend. Jemand, den man nicht kennt, den überhaupt niemand kennt, der inzwischen vielleicht hundert oder tausend Meilen vom Tatort entfernt ist. Und es aus einem derart aberwitzigen, hirnrissigen Grund getan hat, dass wir nicht mal draufkommen, geschweige denn es nachvollziehen können. Denn in dem Fall liegen die Chancen, dem Kerl den Prozess zu machen, bei null. Und aus genau diesem Grund, weil wir nun mal so ticken, sind wir damals bei der kleinen Joanie zu Ferguson gefahren. Wir hatten einen Mord, und er stand auf unserer Hitliste …«
Brown sah zuerst Shaeffer und dann Cowart an. »Dummerweise hat er uns inzwischen durchschaut.«
Der Detective beugte sich vor und begleitete jede Silbe mit einem Faustschlag in die offene Hand. »Er hat festgestellt, dass Entfernung die beste Tarnung ist: Wenn er in irgendein Kaff kommt, um zu töten, sollte ihn dort am besten niemand kennen. Auf diese Weise erregt er kein Aufsehen. Niemand erkennt ihn wieder, wenn er erneut zuschlägt. Wer sind seine Opfer? Er hat am eigenen Leib erfahren, was passiert, wenn er ein weißes Mädchen ermordet. Also geht er von jetzt an in kleine Städte, wo die Polizei nicht so gut geschult und die Presse nicht so wachsam ist, und schnappt sich ein schwarzes Mädchen, weil das nicht annähernd so viel Staub aufwirbelt wie die tote Joanie Shriver. So macht er sich auf, begeht sein Verbrechen, kommt wieder hierher und erscheint zu seinen Seminaren, ohne dass irgendjemand nach ihm sucht.«
Brown schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Niemand außer uns dreien.«
»Und Wilcox?«, fragte Cowart.
Brown holte tief Luft. »Er ist tot«, antwortete er in ausdruckslosem Ton.
»Das wissen wir nicht«, warf Shaeffer ein. Der Gedanke war für sie unannehmbar. Obwohl sie wusste, dass Brown die Wahrheit sagte, wollte sie es nicht hören.
»Tot«, wiederholte Brown mühsam beherrscht. »Irgendwo hier in der Nähe, und deshalb hat Ferguson sich abgesetzt. Das ist seine Regel Nummer eins. Töte ohne Risiko. Töte anonym. Geh auf Abstand. Eine simple Formel, aber wirksam.«
Er starrte die junge Kollegin an. »In dem Moment, als Sie ihn aus den Augen verloren haben, war sein Tod besiegelt.«
»Sie hätten an seiner Seite bleiben sollen«, pflichtete Cowart ihm bei.
Wutentbrannt fuhr sie herum. » Er ist nicht an meiner Seite geblieben. Er war nicht zu halten, ich hab es versucht. Verdammt! Ich muss mir das nicht anhören! Ich brauche nicht mal hier zu sein!«
»Oh doch«, erwiderte Cowart. »Haben Sie es immer noch nicht begriffen? Da draußen läuft ein richtig gefährlicher Mann herum – wegen einer Verkettung von Pannen, Fehleinschätzungen, Pech, was auch immer. Unterm Strich hat er ihn entwischen lassen …«, Cowart zeigte mit dem spitzen Finger auf Tanny Brown, »… und ich hab ihn entwischen lassen …«, er schlug sich gegen die eigene Brust, »… und als Letzte haben auch Sie ihn entwischen lassen. So einfach ist das.«
Er holte tief Luft. »Bei Lichte betrachtet, hat sich nur einer ernsthaft an seine Fersen gehängt. Bruce Wilcox. Und jetzt …«
»… ist er tot«, beendete Brown den Satz. Er stand mitten im Zimmer und ballte die Hände zu Fäusten, verharrte eine Weile reglos und ließ schließlich die Arme sinken. »Wir sind die Einzigen, die ernsthaft nach ihm fahnden.« Auch er zeigte mit dem Finger auf Shaeffer. »Jetzt sind auch Sie in der Pflicht.«
Von einer Sekunde zur anderen wurde ihr schwindelig, als schwankte der Boden unter ihr wie das Fischerboot ihres Stiefvaters bei Wellengang. Dabei konnte sie nicht leugnen, was die beiden Männer sagten. Jetzt lag es bei ihnen dreien, eine Lösung zu finden.
Wilcox und mehrere kleine Mädchen, führte sie sich vor Augen.
Die beiden hier haben keinen Schimmer, dachte sie. Sie haben keine Ahnung, wie man sich fühlt, wenn man
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