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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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eine Neuheit, an die sich schon am nächsten Tag alle gewöhnt hatten. Die Sonne hatte den Tag über die Wiese aufgeheizt, vom Gras ging schlaffe Wärme aus. Jenseits der Wiese war es für ihn nur noch ein Katzensprung – dort, wo die braungescheckte Kuh graste. Er schritt
wie durch seichtes Wasser, hob die Füße hoch und setzte sie vorsichtig in die unbewegliche Hitze nieder, in den Duft und das Zirpen, und kniff vor Vergnügen die Augen zu. Er war nicht schlecht gelaunt, hatte er doch heute Doktor Davin einiges zu berichten und sogar zu zeigen. In den Händen hielt er einen Fahrradlenker.
     
    Toni Badiver, genannt Gummi, war in unserer Gegend erst kürzlich aufgetaucht; man hatte ihn an der Nordchaussee gefunden, am Straßenrand, drei Meilen von Taunus entfernt. Er war übersät von Schrammen und Blutergüssen, und er war bewusstlos. Der Latrinenfuhrmann Samuelsen, der ihn auflas, kam zu dem Schluss, der Kerl sei sturzbetrunken, und aus kameradschaftlicher Verbundenheit lieferte er ihn auf dem Revier ein. Vom Gerüttel in Samuelsens Gefährt kam das Opfer zu sich und faselte unterwegs von einem Bruder Hom Lao Shan, der ihn verprügelt habe, weil er für die kleine Sängerin Ti Eng eingetreten sei. Auf dem Revier jedoch hatten sie im Nu Licht in die Sache gebracht, nachdem Samuelsen für seine Zeugenaussagen in die Nachbarzelle gesperrt worden war; der Eingelieferte jedenfalls konnte niemand anderes sein als Toni Badiver, zu diesem Schluss kamen sie, nachdem sie auf der Innenseite seiner mausgrauen flauschigen Jacke, am Rockschoß, in geraden Steppstichen mit rotem Faden aufgestickt, diesen Namen gelesen hatten. Ratlos machte alle, dass der eingelieferte Badiver nicht nach Alkohol roch.
    Sie holten den Feldscher. Der ließ ihn zur Ader.
    »Nichts Ernstes. Seht zu, dass er richtig ausschläft. Zum Verhören kommt ihr noch …« Der Feldscher mochte die Polizisten nicht besonders und schämte sich für seinen Dienst bei der Polizei. Sein Wunschtraum war, in der Klinik von Doktor Davin zu arbeiten. Im übrigen war das seine Sache.
    Der eingelieferte Badiver (falls er das war) durchschlief den Abend, die Nacht, den Morgen, und der Wachhabende Smogs wiederholte jedesmal, wenn er durchs Guckloch zu ihm hineinguckte, seinen Lieblingsscherz:
    »Schläft wie ein Totschläger.«
    Das Erscheinen Badivers war für das Revier von großem Interesse. Und als der eingelieferte Badiver-falls-er-das-war sich schließlich auf die andere Seite drehte, da sagte Sergeant Korps, der Korporal Smiles abgelöst hatte, der den Wachhabenden Smogs abgelöst hatte (doch waren Smogs und Smiles nicht nach Hause gegangen, sie warteten, wie es enden würde, was ein seltener Fall war in ihrer Praxis, womöglich der einzige – sie gingen nicht und standen neben Korps, als dieser beim Blick durchs Guckloch erkannte, dass obenerwähnter Badiver sich auf die andere Seite gedreht hatte) – da sagte Korps so laut »Oh!«, und Smiles, der Smogs weggeschubst hatte, der Korps weggeschubst hatte, um seinerseits das Auge ans Guckloch zu pressen, sagte noch lauter: »Oho!« – dass der eingelieferte Badiver-falls-er-das-war die Augen aufschlug.
    Und sogleich schepperte die Tür, und zu dritt stürzten sie in die Zelle. Hinter ihnen drängten sich alle anderen Anwesenden aus der Wachstube und verstopften den Eingang.
    Badiver-falls-er-das-war setzte sich auf der Pritsche auf und starrte die Eingetretenen voll runder Verwunderung an.
    »Badiver!« sagte Korps in einem Ton, der keine Zweifel zuließ, und stupste mit seinem dicken Daumen Badiver gegen die Brust. »Keine Ausflüchte!«
    »Wir wissen alles!« erklärte Inspektor Glums. Er hatte den vorgestern eingetroffenen Steckbrief eines Mörders vor Augen, dessen Photo sich frappant vom Phantombild unterschied. »Wir wissen alles!« erklärte Glums logischerweise, denn Badiver glich weder dem einen noch dem anderen Porträt.
    »Häftling, aufgestanden!« brüllte hinterm Rücken der Menschentraube Lieutenant Goms. Er war zwergwüchsig, sah nichts hinter den Rücken und wollte ebenfalls zuschauen.
    Unter der Überfülle der Eindrücke begann der Badiver-zu-sein-Verdächtigte auf der Pritsche zu ruckeln und die Stirn zu runzeln, sein Gesicht verzog sich, nacheinander, zu derart urkomischen, sich gegenseitig ausschließenden Grimassen, worin zugleich soviel Gutmütigkeit und Treuherzigkeit lag, dass Smogs grinste, Smiles lächelte, Korps lachte, Goms in Gelächter ausbrach und sogar Glums den Mund schief

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