Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
Vom Netzwerk:
eine Gewitterwolke, dann loderten Blitze aus ihren sanften Augen. Und der Donner grollte:
    »Du liebst sie noch immer!!«
    Außerstande, den Inhalt eines derart allumfassenden Dialogs zu rekonstruieren (gewiss zwei, drei Seiten), gehe ich gleich zum sujetrelevanten Teil über. Auch er war im übrigen nicht sonderlich gehaltvoll.
    »Ich mag keinen Kaffee mehr«, sagte Lili, »diese Tässchen …« Sie holte aus, um ihres auf den Boden zu werfen, überlegte es sich aber und begnügte sich mit der Geste. »Rauben mir den letzten Nerv! Willst du was trinken?«
    Urbino wollte.
    Zu seiner Freude fand sich bei ihr sogar eine halbe Flasche Whisky, sie selbst zog ein Glas Weißwein vor.
    Urbino war über die Möglichkeit eines Waffenstillstands so froh, dass er im Nu einen Schwips bekam und auf ihre teilnahmsvollen Fragen wie in einer Beichte ausführlich preisgab, wie bei ihm und Dika alles gewesen war. Und gar nicht merkte, wie er sich zu sehr in seine Beichte hineinsteigerte.
    »Und das ist alles?« fragte Lili mit Nachdruck.
    »Ja. Es war Frühling, ein sonniger Tag, viele Vögel, wie hier …«
    »Wie hier??«
    »Ja. Kinder in bunten Anoraks spielten auf Brachland. Ich las an einem Zaun das merkwürdige Wort BIRDY . Machte ein Gedicht …«
    »Trag vor!«
    Urbino wurde etwas nüchterner und dachte nach, als ob er sich zu entsinnen suchte; sollte er?
    »Ich war sehr betrunken.«
    Lili presste die Lippen zusammen.
     
    It was windy and birdy
Children blossomed in dust
Morning shining and dirty
Building Future from Past.

We were left in the Present
With the yesterday tie
To forget the last lesson
How to die! [ 40 ]
     
    »Birdy? Hast du sie so genannt? Wie mich Fischlein?«
    »Ach was! Sie hieß Eurydika, und ich nannte sie Dika.«
     
    Auch diese Nacht wurde schlaflos. Lili kam nachts nicht zu ihm auf den Speicher, und ständig in Erwartung, drehte er sich von einer Seite zur anderen.
    Auch fand er sie im Morgengrauen nicht am gestrigen Ufer.
    Auf der ganzen Insel war niemand. Als wäre auch die Insel verstorben.
    Wenngleich er ob all der Herzensgefühle schier den Verstand verlor, siegte das Hungergefühl, und er beschloss, von sich aus die Offiziersmesse aufzusuchen.
     
     
    3. Marleens Insel
    Zum Frühstück empfing ihn eine völlig andere Person. Das absolute Gegenteil.
    »Herr Gast! Sie erlauben sich, zu spät zu kommen.«
    Obwohl außer Zweifel stand, dass sie Zwillinge waren. Ob
wohl sie um einiges jünger aussah. Kahlgeschoren, grell geschminkt, eine ungestüme Brünette in einem Sackgewand aus Segeltuch und mit einem Hundehalsband als Kette. Verwahrloste Göre.
    Das war Marleen.
    »Sie suchen Lili? Die finden Sie nicht. Die hat im Morgengrauen den Anker gelichtet.«
    »Wie so plötzlich?«
    »Über Funk kam eine Sturmwarnung. Da hat sie sich beeilt, um es vor dem Taifun noch zu schaffen.«
    »Was zu schaffen?«
    »Erstens – Einkäufe. Zweitens – zu ihrem Freund.«
    »Zu was für einem Freund denn?« Urbino konnte sich nicht beherrschen.
    »Einem ganz gewöhnlichen. Ja, glauben Sie denn, Sie wären der einzige auf der Welt?«
    Urbino empfand sogleich Hass auf die Schwester. Die Liebe zu Lili flammte mit aller Macht der Eifersucht in ihm auf.
    »Also hat sie Sie rausgelassen?«
    »Natürlich nicht. Ich habe die Kette durchgebissen.« Marleens Mund verzog sich zu einem grauenhaften Lächeln, das eine Reihe vollkommen schwarzer Zähne entblößte.
    Das Wetter war von seltener Friedlichkeit, bestimmt kündigte sich tatsächlich ein Sturm an.
     
    »Bloß, trag mir ja nicht deine Gedichte vor!« erklärte Marleen kategorisch. »Sie sind grässlich! Vor allem deine Stegreifdichtung.«
    »Mir haben deine aber gefallen …«
    »Was, sie hat dir auch meine gezeigt?! Verräterin!«
    »Mich wundert eher, dass sie dir meine gezeigt hat … Wann hat sie das geschafft?«
    Marleen lachte. »Ich hab gelauscht!«
    »Wie konntest du, du warst doch im Schiffsbauch eingesperrt?«
    »Ich hab so ein spezielles Röhrchen wie ein Ninja.«
    »Ein Ninja? Was ist das denn?«
    »Wie – weißt du das wirklich nicht?«
    Und Marleen hob an, begeistert von dieser großartigen Sekte zu erzählen, der sie, kam es Urbino vor, sich ebenfalls zugehörig fühlte.
    »Dass ich unter Wasser nicht zu atmen brauche und mich aus allen Fesseln befreien kann, hast du selbst gesehen … Nun sei nicht beleidigt, so schlecht sind deine Gedichte auch nicht. Bloß die Stegreifdichtung war grässlich.«
    »Was für eine Stegreifdichtung?«
    »Die du

Weitere Kostenlose Bücher