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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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des Lebens und der Hoffnung:
Geteilt durch eins, das ist Realität …
Der Tod ist eine ganze Zahl!

Dem Sinn jedoch ist Irrsinn nicht gefährlich –
Ein solches Körnlein des Irrationalen
Beziehen Wissenschaftler ungerührt mit ein:
»Je nun, was soll's, hier geht es niemals auf!«
Das ist das Recht des Menschen, diese Freiheit,
Auch falsch zu denken, neben dem Gedanken, stimmt schon.
So ist dem Sinn der Irrsinn nicht gefährlich.

Von wegen! Gibt es doch ein Maß an Einsamkeiten,
Die niemand sonst erfahren hat, nur du,
Und sei es deshalb, weil sie auszuforschen
Dir aufgegeben: was du dechiffrierst,
Erlaubt dir fortzufahren, und der Rest
Mag er auch klein sein, ist dein nächster Tag.
Wie hat den Schöpfer der Erlöser einst bewogen,

Die Menschheit einmal anders fortzusetzen?
Wo steckt, verdammt, denn in der Schöpfung Logik?
Sie ist ja lediglich sich selber gleich!
Uns in uns selbst zu locken ist viel leichter,
Als Samen in die Erde; Samen sind auch wir.

Wie tödlich unser beider Zwist! Wie abgeschmackt,
Nicht zu verstehen: nur in uns ist Leben!
Wir beide sollten nicht mit Armut prahlen,
Dem Schema üblicher Geschicke folgend.
Nicht aufzusperren sind wir mit dem Sklavendietrich,
Der Furcht, wir würden abgewiesen … »Geben«
Und »Nehmen« haben fast denselben Sinn:
Denn ALLES nimmt ja KEINER . ALLES braucht auch keiner.
Was mir zuteil geworden … Maß der Einsamkeiten
Ist jener Liebesvorrat, der niemals erschlossen.

Ich sterbe jeden Augenblick erneut!
Beerdige mich, so ganz ungefährlich,
Der Baum beerdigt Samen ebenso …
Unsterblich sind sie wahrhaft: ohne Unterbruch
Vom Tod ins Leben. Birgt Diskretheit doch,
Pulsierend, eine Seele. Was für Klüfte sind
Zu überfliegen, damit das erreicht wird,
Was einem Baum auch so gegeben. Stimmt schon,
Wir täten gut daran, das zu bedauern:
Uns einmal nicht mehr um Verständnis mühen
Und selbst zu dem zu werden, was verstanden wird.
     
    »Das sieht doch schon nach was aus«, lobte schließlich Marleen.
    »Nach was?«
    »Nach einem Samentierchen!«
    »Was für einem Samentierchen?«
    »Na, einem Spermatozoiden! ›Die Sechser-Reihe zieht sich ins Unendliche …‹ Wie heißt das bei dir?«
    »›Und wedelt mit dem Schwanz, apokalyptisch‹ … Ja, stimmt, sehr ähnlich!«
    »Siehst du. Du kannst doch, wenn du willst. Komm zu mir!«
    »Gut, gut. Komm zu mir, meine Hündin!«
     
    »Irgendwelche Nachrichten von Lili?«
    »Nun hab doch nicht solche Angst! Sonst werd ich noch eifersüchtig! Sie hat dir ja erzählt, wie grässlich ich bin? Ich habe ihr noch eine Sturmwarnung geschickt. Und glaub bloß nicht, dass ihr langweilig ist …«
    Das allerdings hätte Marleen nicht sagen sollen!
    Er stieß sie weg und stürzte davon. Aber wie weicht man sich auf so einem Inselfleckchen aus?
     
    Herr, erbarme dich!
    Der Mast erschien ihm als einziger Rückzugsort.
    Diesmal war er schon geschickter und geübter beim Klettern. Er flog in die Höhe.
    Das Brückchen kam ihm jetzt sehr gemütlich vor, geradezu wohnlich: ein hübsches, halb abgesacktes Brettchen! Und der Blick frei nach allen Seiten.
    Es lohnte sich! So etwas hatte er noch nie gesehen.
    Links hing riesig, blasstürkisen, der volle Mond (vielleicht nicht ganz voll, vielleicht war es noch ein Tag bis Vollmond). Rechts, schon ganz riesig, rollte die Sonne ins Meer. Folglich ist der Mond im Osten, wo er auch zu sein hat, überlegte schülerhaft Urbino.
    Ihm fiel ein mohammedanisches Märchen ein, das er als Kind gelesen hatte. Wie einem Jüngling Sonne und Mond gleichzeitig im Traum erschienen und wie ihm ein Sufi das erklärte: Zwei ebenso wunderschöne Frauen wirst du haben – und so kam es auch; als der Jüngling erwachsen war, fiel ihm der Traum ein, und er freute sich, dass sein Schicksal sich erfüllt hatte.
    So hing er auf dem schwankenden Brückchen zwischen erlöschender Sonne und triumphierendem Mond und vermaß den Abstand zwischen beiden, zwischen Lili und Marleen, zwischen Liebe und Leidenschaft.
    Und so, vom Anblick des wunderschönen Gleichgewichts
hingerissen, fiel ihm ein, dass ja nicht nur bei den Mohammedanern … auch in anderen Religionen, bei den Juden wohl, galt es für einen Witwer schon fast als Pflicht, die unverheiratete Schwester zu heiraten. Nein! keines Menschen Tod kam ihm mehr zupass! ›Und wenn im Paradies das nichtgelebte (ersehnte) Leben stattfindet? … und gerade es, verkörpert, sich (in der Praxis) als Hölle erweist?? Der Westen wird zum Osten, der Sklave zum Tyrannen,

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