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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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südlich, italienisch,
wie war es hier gesprossen? –
und drüben, in der akkuraten Staubsavanne –
da liegt der Brief.
    III
    Im Raum herrscht, so wie immer, Schludrigkeit:
ein Spalt im Boden, da dringt Licht herauf –
was ist da unten? ein Gelage, unheilvoll;
doch, Gott sei Dank, die denken nicht an mich.
Auf einmal Wortgefechte, Streit, es schwellen
die Stimmen, Zerren an der Tür! vulgäres Lachen:
»Was wollt ihr denn von dem!« Sie ziehen ab.
Hinüber ist der ohnehin …
    Die Dinge schlafen,
    geborgte Schatten, fremd, im Raum, der früher mein.
Wie eilig hat's erloschnes Licht im Schatten!
Wie bebt ein Schrei in Nachbarschaft der Kehle!
Es bergen meine Sachen soviel Grauen:
verwandeln sich andauernd, unnachweisbar;
zurückgekehrt, sind sie erneut am Platz!
Da hängt am Nagel absolut mein Mantel,
kein Mensch darin, auf einmal aber ist
mit feindseligem Samt der Kragen unterfüttert,
des Nagels Schatten fällt dem Licht entgegen …

Die Welt all meiner Rettungen versteh ich nicht!
Verschreckt durch sonderbare Bagatellen,
die mich verraten, niemals überführbar,
seh ich den Briefkasten, entdeckt soeben
am Ort des Nachttischs,
    gar nicht mal geschockt,
    vielmehr gerührt. Muss sogar grinsen, stecke
den Finger in den Spalt.
    ›Und jetzt ist Schluss!‹
    so denk ich ruhig,
    lege mich in Schuhen,
    die Arme ausgestreckt, ganz lässig auf den Rücken:
›Ob ich es schaffe, spuck ich bis zur Decke?‹
Mir fallen lauter schlichte Dinge ein: Wie wär's,
ich setze Wasser auf und dampfe ab die Marke
und schenke sie der Tochter.
    »Ja, herein!«
    Da ist niemand.
     
    Verschwunden ist der Brief,
    Die Spur im Staub, zerwühlt, vielleicht von ihm –
doch er ist weg. Ein komisches Sujet.
Ich geh ins Bett zum Weiterschlafen …
    Bald wird's Tag,
    muss gähnen – wie ist das Kuvert des Betts zerwühlt!
der Lampe Petschaft hängt
am Briefkuvert der Zimmerdecke,
die Ofentüre auch Kuvert,
es knarzt selbst das Parkett im Briefformat.
Am Fensterbrett sitzt eine Taube, schizoblau,
der Absender des Schlafs ist dort vermerkt.
    IV
    Die Wissenschaft weist nach: der Brief als Genre
verschaffte uns dereinst das Genre des Romans …
Das Mittelalter, ach, das wusste Mittel,
im Leben ein Geschenk zu sehn, das Spiel zu kennen:
Umkommen oder Sterben,
    mit Genuss
    die freie Wahl zu treffen,
    vorzuziehn den Zufall …
    Als ob sie eingeweiht, als ob sie vor Geburt
das Buch des Lebens schon gelesen hätten,
zu Lebzeit den Roman bereits gekannt,
der über sie geschrieben …
    Nur der Zufall gilt!
    Die Wörter SCHICKSAL , LEIDENSCHAFT : es geht um sie,
Um sie! … Für uns dann das Theater ihrer Taten:
Alkovenfatum, Lufthandschrift der Degen,
ein Sündenfall – das Ende … Der Roman
»Notizen einer Brieftaube« ist herrlich!
    V
    Ein Kinderbild: »Die ungetreue Ehefrau,
dahingesunken nach dem Abschiedskuss«.
Die eine Schulter sorgfältig entblößt,
gefallen ist die Blume ihres Mieders,
die Eingekerkerte winkt mit dem Tuch
(sehr vorteilhaft fürs zukünftige Kino).
»Das Vöglein!« Es fliegt raus zum Kerkerfenster,
ein Täubchen, seine Flügel rütteln Wolken auf …
Und efeuüberrankt die Klostermauer,
es senkt sich die Oblate in den Kelch,
die Augen blicken finster, finsterer,
schon schwitzt der Degen gierig unterm Mantel,
im Schatten jener Mauer, die umrankt von Efeu,
und Fußgetrappel, Sporenklirren auf der Treppe …
Die visuelle Reihe nimmt an Stärke zu
(damit die Kamera tatsächlich mithält),
der Kuss der Abschiedsverse dauert lang …
Das Leben ist der Preis! Ein Blick – ein Risiko!
Jetzt, jetzt! und dann – das liebenswerte Gift …
Was gilt bei diesem Ritual schon Lebenszeit?
O dieses Wissen: Leben, das ist – jetzt !
Die absolute Unteilbarkeit, die
einst glücklich »Leidenschaft« geheißen hatte
und uns als dumpfer Schmerz bis heute umtreibt:
»Du?« – »Ja.« – »Wann?« – »Jetzt!«
Nicht zufällig steckt »jetzt« im Wort für »Glück« [ 43 ] .

Doch ich muss nun nach Haus, muss aus dem Haus –
's ist Zeit, der Weg »zum Glück« ist wohlbekannt.
    VI
    Wir werden leben in Vergangenheit! Bewusst
und wie im Paradies, dass wir den Fehler
des Lebens einmal nur begangen haben – genug.
Das Leben pöbelt, doch der Tod ist freundlich,
zumindest, weil er nicht vergeht wie Schmerz.
Der Tod ist treu uns, und wenn wir ihm untreu,
so stößt ihn das nicht ab. Denn er kann warten.
Was bleibt bis zur Begegnung? Ewig der Moment,
um jung zu werden bis zum ersten Klaps,
zu jenem Nichts zu werden, das mich

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