Der Täter / Psychothriller
Martinez, wie er eine Faust ballte und siegesbewusst in die Höhe reckte. Sie konzentrierte sich auf die beiden alten Menschen in Miami Beach und klammerte sich an den Gedanken, dass ihre Aufgabe ans Medizinische grenzte: Es war der Versuch, sie am Leben zu halten.
Auf dem Platz war ein schlaksiger Teenager, der ein wenig schneller als die anderen zu sein schien und ihnen offenbar an Sprungkraft überlegen war, denn er schnellte scheinbar mühelos zum Korb. Von der Bank aus, auf der er saß, direkt innerhalb des Maschendrahtzauns, beobachtete Simon Winter, wie der Junge das Spiel beherrschte und ungerührt größere Spieler hinter sich ließ.
Ich war auch mal so, dachte er. Schmunzelnd überlegte er, was er getan hätte, um den Jungen aufzuhalten. Man musste präzise und pragmatisch denken, wenn man den Spielfluss auf dem Basketballfeld zu seinen Gunsten lenken wollte, und er merkte, dass diese Phantasievorstellungen ihn befriedigten wie Süßigkeiten kleine Kinder; nicht unbedingt fürs Leben nötig, aber doch ein vorübergehender Genuss.
Er beobachtete den jungen Mann genau. Er war groß, etwa eins neunzig, doch das hätte Simon Winter immer noch einen leichten Vorsprung verschafft. Erste Regel, dachte er, mach ihm den Ball abspenstig. Komm ihm an der Stelle im Bogen des Freispielraums zuvor, wo er am liebsten den Pass annimmt, dann hindere ihn daran, sich umzudrehen und vor dem Korb in Position zu gehen. Zwinge ihn, den Ball an einer der Seiten anzunehmen, wo er weniger Platz zum Manövrieren hat. Zwinge ihn, mit Links zu spielen – da scheint er schwächer zu sein –, und wenn er sich zum Sprungwurf streckt, scheint er nicht ganz so schnell hochzukommen. Mach ihm die Grundlinie streitig, damit er nicht nach rechts wechseln kann. Sorge dafür, dass er sich für den Drop-Step-Trick entscheidet und um den Verteidiger herum zum Sprungwurf ansetzt. Ein paar schafft er vielleicht, aber die meisten Bälle werden vom Korbring abprallen. Halte keinen Moment die Füße still, so dass er sich jedes Bisschen hart erarbeiten muss, früher oder später langsamer wird und sich nach einer Passmöglichkeit umsieht; wenn es so weit ist, dann weißt du, dass du deinen Job erledigt hast.
Winter nickte und lächelte. Immer, wenn er in Gedanken mitspielte, endete es in einem Sieg für ihn.
Auf dem Feld vor seinen Augen sah Winter, wie der Teenager zwischen zwei Verteidigern eine Bresche schlug und den Ball mit leichter Hand sanft in den Korb hob. Der Junge kannte sich aus. Mit voller Wucht ein Dunking hinzulegen, machte zwar Eindruck, doch die echten Spieler erkennen und bewundern den Spielzug, der Resultate bringt.
»Ist das Ihr Spiel, Mr.Winter?«
Simon Winter fuhr zu der Stimme herum. »War es mal, Detective.«
Walter Robinson setzte sich neben ihn auf die Bank. »Meins nicht«, sagte er. »Ich wollte nicht. Wenn man schwarz ist und athletisch, geht jeder automatisch davon aus, dass man Basketballer wird. Ich hab stattdessen ein bisschen Highschool-Football gespielt. Außenstürmer in einer richtig guten Mannschaft. Haben die Stadtmeisterschaft gewonnen.«
»Das muss toll gewesen sein.«
»Wahrscheinlich der beste Tag, den man sich im Leben wünschen kann. Siebzehn, bald achtzehn, blutverschmiert, ein bisschen benommen und erschöpft, aber als Sieger vom Platz marschieren – so was hab ich nie wieder erlebt. Hat irgendwie was Unschuldiges an sich.«
»Waren Sie gut, Detective?«
»Nicht übel. Wirklich nicht übel. Als Außenstürmer neben dem Tackle, das ist ’ne merkwürdige Sache. Die meiste Zeit versucht man, an der Linie seinen Mann zu stehen, man wirft sich gegen die Linebacker und Außenverteidiger, man gehört zu den Dronen, die die glorreichen Running-Back- und Quarterback-Jungs verteidigen. Aber dann kommt es auch immer mal wieder vor – sozusagen als Belohnung für all die Knochenarbeit –, dass man hinter die gegnerische Linie gelangt und in die dritte Reihe der Defense stürmt, und wenn man endlich mal frei steht, kommt der Ball auf einen zugeschossen. Ab und zu gibt es diesen großen Moment, in dem man von Verteidigern umringt ist und weiß, jetzt kommt es nur auf dich an. Man streckt die Hände aus, und es ist klar, wenn man ihn jetzt fallen lässt, fängt man wieder ganz von vorne an, als Arbeitsbiene sozusagen. Packst du ihn dagegen, steht dir danach alles offen und du bestimmst, was du machen willst. Solche Momente habe ich geliebt.«
»Es steckt Poesie im Sport«, meinte Winter
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