Der Täter / Psychothriller
richtigen Reizwörter ins Auge fallen und die richtigen Gefühle bei ihm auslösen, so dass er zu dem Schluss kommt, es sei an der Zeit zu handeln. Aber wiederum nicht so viel, dass er beschließt zu fliehen.«
Walter Robinson nickte. »Das wird nicht ganz leicht zu bewerkstelligen sein«, meinte er leise.
»Haben Sie schon mal Grätenfische vor Key Biscayne geangelt, Detective? Tolles Erlebnis. Die Fische sind in seichtem Gewässer sehr scheu und reagieren misstrauisch auf jedes Geräusch und jede Bewegung. Aber sie haben Hunger, und dort gibt es nun mal Krabben und kleine Krebse, die für sie Delikatessen sind. Deshalb findet man sie da. Das Wasser ist graublau, hundert verschiedene Schattierungen, die sich binnen Sekunden verändern, und die Fische heben sich nur ganz geringfügig davon ab. Ein Schriftsteller hat sie deshalb mal als Gespenster bezeichnet. Man starrt stundenlang ins Wasser, und dann entdeckt man plötzlich diese winzige Bewegung, diese geringfügige Abweichung in der Farbgebung, und das deutet auf einen Fisch hin. Dann wirft man die Angelrute aus, und wenn der Köder ganz behutsam nur etwa dreißig Zentimeter vor dieser diffusen Gestalt plaziert ist, hat man einen Grätenfisch am Haken, wovon alle Angler träumen.«
»Hab ich auch schon gehört«, erwiderte Walter Robinson.
»Ich denke«, erwiderte Simon Winter bedächtig, »der Angelsport würde Ihnen liegen.«
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19
Die Warnung des Engels
D as Spiel war aus, und Walter Robinson bestand darauf, Simon Winter zum Sunshine Arms zurückzufahren. So rollten sie gemächlich im Dienstwagen des Detective durch das Vergnügungsviertel von Miami Beach. Winter blickte immer wieder auf die kleine Rechnereinheit, die in der Mitte des Armaturenbretts installiert war, und sagte nach einer Weile mit einem schiefen Grinsen:
»Wenn ich dieses verdammte Ding sehe, fühle ich mich wirklich alt.«
Er blickte auf und betrachtete das nächtliche Treiben auf der Straße, das langsam an ihnen vorbeiglitt. Der ältere Detective seufzte.
»Was ist?«
»Schauen Sie sich das an. Sehen Sie, was da gerade passiert?«
Robinson blickte auf das dichte Gedränge weißer Limousinen und glänzender dunkler Luxuskarossen, die etwa in der Mitte eines Blocks in zwei Reihen vor einem Nachtclub parkten. Über dem Eingang des Clubs leuchtete bis zur vollen Höhe zweier Geschosse eine Palme aus lila und roten Neonröhren. Auf dem Bürgersteig drängte sich eine Traube Weißer und Latinos, soziale Aufsteiger Anfang bis Mitte zwanzig. Den MBA oder Juraabschlüsse in der Tasche, suchten sie auf dem Weg zu ihrem ersten richtigen Job ein wenig Zerstreuung und trafen hier auf den älteren, doch ewig jugendlichen Typ. Dazwischen tummelte sich vereinzelt eine Gattung, die es so nur in Miami zu geben schien, die Drogenkultur-Mitläufer, meist junge Männer, die sich wie
Narcotrafficista
benahmen: das grell bunte Hemd bis zur Taille aufgeknöpft, Goldkettchen um den Hals, dazu ein feiner Leinenanzug, als könnten sie damit die Realität ihres Lebens als Büroangestellte oder Buchhalter kaschieren.
Es war wie eine Maskerade, bei der jeder einen exotischen, reichen, herzlosen kolumbianischen Auftragskiller mimte, was natürlich den wenigen echten Exemplaren dieser Spezies dabei half, sich mit derselben Berufskleidung unerkannt unters Volk zu mischen. Die Frauen schienen im Allgemeinen hohe Stilettos und üppige Mähnen zu bevorzugen, bei der Kleidung Pailletten und Seide – Pfauen, so farbenprächtig wie das blinkende Emblem über der Tür. Als Simon Winter und Walter Robinson vorüber glitten, vibrierte der Wagen unter den schweren Bässen des Rock ’n’ Roll mit lateinamerikanischem Einschlag.
»Was sehen Sie, Senior?«, fragte Robinson, und Winter begriff sofort, dass er das Wort benutzte, um ihn zu foppen.
Also antwortete er in gespielt gereiztem Ton mit dünner Fistelstimme: »Was ich sehe, junger Mann, ist, wie sich alles verändert. Auf der einen Straßenseite die Broadway Delicatessen. Da gab’s mal die beste Hühnersuppe von ganz Miami Beach. Wahrscheinlich immer noch. Daneben einen Lebensmittelladen, wo alte Leute wie ich frisches Obst und Fleisch einkaufen, das nicht einen Monat lang Frostbeulen bekommen hat. Da kennen sie einen mit Namen, und wenn man mal ein bisschen knapp bei Kasse ist, dann schreiben sie an, bis die Rente auf dem Konto ist.«
Simon Winter schwieg und fuhr in normalem Ton fort: »In ein, zwei Jahren gibt es die nicht mehr, was meinen Sie? Der
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