Der Täter / Psychothriller
Ein alter Mann und weiß.«
Als sie das hörten, hielten mehrere Beamte, die den Raum untersuchten, mitten in der Arbeit inne. Einer schüttelte energisch den Kopf.
»Sie meinen, ein alter, weißer Mann ist spätabends hierher in den Dschungel gekommen und hat das getan? Nicht sehr wahrscheinlich«, sagte der Detective. »Ich meine, ich will Ihnen ja nicht in die Suppe spucken, Walt, aber ein alter Weißer? Hier in der Gegend? Nach Einbruch der Dunkelheit?«
»Doch, ich glaube, so war’s.«
»Na ja, mag ja sein. Einmal alle tausend Jahre schafft es ja vielleicht ein weißer alter Knacker hierher, ohne plattgemacht zu werden. Ich sag ja nicht, dass es völlig unmöglich ist, aber, Walt, mal ehrlich! Ich wette, es waren die Crackdealer in der Nachbarschaft. Auf so was sind die ganz schön scharf.«
»Haben Sie irgendwelche Zeugen?«, fragte Robinson. »Hat irgendwer im Gebäude was gesehen oder gehört?«
Der Detective grinste trocken. »In den King Apartments? Sie meinen, jemand sieht was und erzählt es uns dann auch noch? Vergessen Sie’s. Und außerdem, meinen Sie, nach dem, was mit dem alten Leroy hier passiert ist, reißt hier noch irgendjemand die Klappe auf und erklärt hinterher einem Psychopathen, der so gut mit dem Messer umgehen kann, wieso er mit den Cops geplaudert hat?«
Robinson schüttelte den Kopf und dachte: Es ist wirklich aussichtslos.
Er trat von der makabren Szene in der Mitte des Wohnzimmers zurück und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass der Schattenmann sich irgendwie Zutritt zu der Wohnung verschafft hatte, um dort Jefferson aufzulauern, und dass jeder Schnitt im Fleisch des Junkies so etwas wie eine exotische Signatur war, die nur er zu lesen verstand. Die Reaktionen der anderen Cops brachten eine nicht zu leugnende Binsenweisheit zum Ausdruck, denn ein älterer Weißer aus Miami Beach, der in diesen sozialen Brennpunkt der Innenstadt kam, um einen miesen kleinen Junkie und Möchtegern-Dealer abzuschlachten, grenzte ans Absurde, doch genau das war passiert. Ebenso genau wusste er, dass jemand, der Leroy Jefferson tötete, die besten Chancen hatte, damit durchzukommen. Weder im Leben noch im Tod gab irgendjemand viel auf Leroy Jefferson.
Er holte tief Luft.
Leroy Jefferson ist nun mal tot, sagte er sich. Die Detectives, die den Fall bearbeiten, werden sich ein paar Informanten vornehmen, versuchen, eine Bande gegen die andere auszuspielen, um auf diese Weise an einen Namen zu kommen. Aber sie werden sich nicht die Beine ausreißen. Allenfalls geben sie sich ein bisschen mehr Mühe, weil er ein Zeuge der Anklage war, aber sie wissen, wie das läuft. Wenn du mit dem Feuer spielst, musst du wissen, worauf du dich einlässt, und niemand, aber auch wirklich niemand konnte bestreiten, dass – nach einer perversen Logik – Leroy Fucking Jefferson genau das bekommen hatte, was der Himmel ihm von jeher zugedacht hatte. Es war ihm nur ein wenig langsamer und qualvoller als üblich begegnet. Eine Kugel aus einem fahrenden Auto wäre statistisch gesehen passender gewesen. Er konnte nicht viel Liebenswertes an Leroy Jefferson entdecken, vor allem aber hasste er, wie ähnlich sie sich waren, was ihm der Ermordete auf den Kopf zugesagt hatte, als er ihn verließ. Hätte es genauso gut mich treffen können?, fragte sich Walter Robinson. Hätte ich einen falschen Schritt gemacht, die falsche Entscheidung getroffen, dann wäre ich vielleicht so geendet wie er: kein Anzug, keine Marke, keine Geliebte, keine Zukunft.
Er warf einen Blick auf die Leiche und dachte: Egal, wie weit man das hier hinter sich lässt, es wird einen immer begleiten. Er starrte auf einen Alptraum, der ihm viel näher war als der des alten Paars, das sie am frühen Morgen friedlich in ihrem Bett gefunden hatten. Er versuchte, sich vorzustellen, wie er und Espy Martinez im fortgeschrittenen Alter eines Tages zusammen zu einem Glas Champagner eine Handvoll Schlaftabletten schluckten.
Walter Robinson stieß einen langen Seufzer aus.
Ihn fröstelte auf einmal, als träfe ihn ein verirrter kalter Wind und isolierte ihn von sämtlichen Polizisten, die in dem Zimmer arbeiteten. Er blickte in die geöffneten Augen von Leroy Jefferson und dachte: Hat er hier auf dich gewartet, als ich dich abgesetzt habe?
Er wusste die Antwort.
Er dachte daran, wie er Jefferson angeboten hatte, ihn in seine Wohnung zu begleiten, und er stellte sich vor, wie er in dem Moment nach seiner Waffe
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