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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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geblickt, die sie mit jedem Schatten zu verhöhnen schien.
    Du bist in der Nähe, dachte er. Du bist ganz in der Nähe. Aber wo?

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26
    Der Teekessel
    D er Schattenmann stand still am dunklen Rand einer Gasse, außerhalb des Lichtkegels, den das Neonlicht einer geschlossenen Apotheke auf den Bürgersteig warf. Er blickte zum sechsten Stock des Gebäudes hinauf, in dem der Rabbi seine Wohnung hatte.
    Die Stimme, die ihn gewöhnlich zur Vorsicht mahnte, sagte ihm, dass es nicht klug sei, dort auch nur einen Moment lang zu stehen, selbst wenn er unentdeckt blieb. Manchmal kam es ihm vor, als hockte ihm diese Stimme wie ein allzu sehr auf seine Sicherheit bedachter Engel auf der Schulter. Diesmal war die Stimme eindringlich und schrill und verlangte, dass er wegging, und zwar auf der Stelle.
    Pack deine Tasche zusammen, geh in ein Hotel beim Flughafen, nimm den ersten Flieger morgen früh.
    Er schüttelte den Kopf.
    Ich hab hier noch was zu erledigen, hielt er dagegen. Und zwar da oben in diesem Gebäude.
    Was denn zu erledigen? Denk an deine Sicherheit. Du hast dieses Leben ausgekostet wie andere davor. Diese Jahre in Miami Beach waren ertragreich und angenehm, aber jetzt sind sie vorbei. Du hast gewusst, dass dieser Zeitpunkt einmal kommen würde, und jetzt ist er da. Zu viele Leute kreisen dich ein, sehen auf der Suche nach dir unter jeden Stein, hinter jede Tür. Du hast Leute vom Schattenmann reden gehört, als würden sie dich kennen. Es ist an der Zeit, zu verschwinden und jemand anderer zu werden.
    Er lehnte sich noch tiefer in die Dunkelheit der schmalen Gasse und schmiegte den Rücken an eine schmutzig graue Wand.
    Los Angeles wäre schön, sagte er sich. Dort warteten eine Wohnung, Bankkonten und eine andere Identität auf ihn. Auch Chicago wäre akzeptabel. Dort waren die Grundlagen für ein ähnliches Arrangement geschaffen. In Los Angeles muss ich mir ein Auto besorgen, überlegte er, da fährt jeder. In Chicago ist das nicht nötig. In Los Angeles würde er zum pensionierten Geschäftsmann; in Chicago kannte man ihn bereits als einen Investor im Ruhestand. Er wog die beiden Optionen ab, konnte sich aber nicht entscheiden. Es machte eigentlich keinen Unterschied, überlegte er. In dem Moment, in dem er eine der beiden Identitäten annahm, würde er in einer neuen Stadt bereits die Rahmenbedingungen für die nächste schaffen, so dass ihm immer mehr als eine Option offenstand. Vielleicht Phoenix oder Tucson, dachte er. An einem warmen Ort. Der Winter in Chicago behagte ihm nicht. Ihm wurde bewusst, dass er ein wenig recherchieren musste. Er wusste nicht, ob eine der beiden Städte eine entsprechend betagte, jüdische Gemeinde hatte, in die er sich einschleusen konnte. Waren dort Überlebende?, fragte er sich.
    Irgendwo da draußen in der Nacht schrillte eine Autoalarmanlage durch die abgestandene Hitze. Einen Moment lang horchte er darauf, dann verschwand das Geräusch plötzlich.
    Unter einer Aufwallung von Wut spuckte er auf den Boden.
    Ich habe es hier genossen, flüsterte er. All die Jahre habe ich es gut gehabt. – Er mochte die dichte, samtene Tropennacht, die all seine Wut einzuhüllen schien.
    Er ging die Phalanx seiner Feinde durch. Den Polizisten und die Staatsanwältin strich er sofort von der Liste und machte dazu eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand. Die Polizei hatte er noch nie gefürchtet. Er hielt sie für zu schwerfällig und einfallslos, um ihn zu fassen. Sie suchten nach Beweisen und Indizien und begriffen grundsätzlich nie, dass er eher so etwas wie eine Idee war. Auch wenn sie ihm diesmal dichter auf den Fersen waren als je zuvor – als irgendjemand seit 1944 –, so lagen sie immer noch ziemlich weit zurück. Andererseits erinnerte ihn seine Stimme der Vorsicht daran, dass die Polizei noch nie zuvor auch nur von seiner Existenz gewusst hatte. Dies gab ihm zu denken, bis seine arrogantere Seite ihm in Erinnerung rief, dass er genau aus diesem Grund über all die Jahre dafür gesorgt hatte, jeweils auf mindestens zwei Identitäten zurückgreifen zu können. Dass es kaum einmal einen hastigen Aufbruch gegeben hatte, zeugte von seiner umsichtigen Planung. Und das hier, dachte er trotzig, ist im Grunde nicht viel anders.
    Doch dann kam ihm der alte Detective, der Nachbar, in den Sinn und verunsicherte ihn. Dieser Mann machte ihm vor allem deswegen mehr zu schaffen, weil er nicht wusste, wie er ins Bild passte, gehörte er doch weder zur Seite der Behörden noch zu der

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