Der Täter / Psychothriller
legte er auf. Junge Überflieger unter den Staatsanwälten nachts aus dem Bett zu holen, gehörte zu den kleinen Entschädigungen, die er sich als leitender Detective beim Morddezernat gönnte. Er schätzte, dass sie etwas über eine halbe Stunde brauchen würde, bis sie eintraf und er sie der Presse zum Fraß vorwerfen konnte. Er fand, das war das Warten wert, und beschloss, die Fortschritte der Spurensicherung auf dem schmalen Weg hinter dem Sunshine Arms zu begutachten. Vielleicht haben sie ja was entdeckt, dachte er. Dieses Schmuckkästchen, das musste sich doch irgendwo in der Nähe finden. Sicher hatte es der Täter in die erstbeste Mülltonne geworfen, nachdem er es mit einer Menge Fingerabdrücken und dem unverwechselbaren Geruch nach Angstschweiß eingedeckt hatte.
Esperanza Martinez hatte sich bei ihren rar gesäten Freunden den Spitznamen Espy erworben. Im Halbdunkel ihres Schlafzimmers zog sie sich rasch an, schlüpfte zuerst in die Jeans, verwarf sie jedoch zugunsten eines modischeren, lose sitzenden Kleides, als ihr bewusst wurde, dass sie sich vielleicht den Kameras stellen musste. Auch wenn sie in ihrer Wohnung allein war, achtete sie darauf, keinen Lärm zu machen. Sie wohnte in einer Doppelhaushälfte, ihre Eltern lebten nebenan. Ihre Mutter war gegenüber den Geräuschen, die von ihrer Tochter herüberdrangen, geradezu telepathisch sensitiv; bestimmt lag sie gerade wach im Bett und horchte durch das Ständerwerk, die Schalldämmung und die Spanplatten hindurch auf die Lebenszeichen ihrer Tochter.
Sie betrachtete ihre Erscheinung noch einmal in einem kleinen Spiegel, der zusammen mit einem Kruzifix neben der Eingangstür hing. Dann vergewisserte sie sich, dass ihre Kennmarke von der Staatsanwaltschaft sowie eine kleine Automatik Kaliber fünfundzwanzig in der Handtasche waren, und trat in die stickige Nacht. Als sie den Motor des unauffälligen Kleinwagens anließ, warf sie einen letzten Blick nach oben und sah, wie in der Haushälfte ihrer Eltern das Licht anging. Sie legte den Gang ein und fuhr zügig auf die Straße.
Im Spätsommer kommt es einem in Miami so vor, als glimme die Glut des Tages auf kleiner Flamme weiter. In den riesigen Bürotürmen und Wolkenkratzern, die das Bild der City beherrschen, blieben über Nacht die Lichter an, so dass die weitere Umgebung wie in einem feinen schwarzen Sprühregen erschien. Doch trotz der weichen tropischen Konturen und gleitenden Übergänge, folgte der Rhythmus der Stadt einem unruhigen Pulsschlag, und beim Verlassen der hell erleuchteten Highways, die kreuz und quer das County durchzogen, beschlich einen das Gefühl, man stiege in einen Keller hinab. Oder auch in eine Krypta.
Espy Martinez fürchtete die Nacht.
Sie fuhr schnell, so dass sie die ruhigen Vorstadtstraßen bald hinter sich gelassen hatte, auf die Bird Road einbog, von wo aus es auf dem Dixie Highway nach Miami Beach nicht mehr weit war. Es herrschte wenig Verkehr, doch als sie sich gerade auf die vierspurige Route 95 einfädelte, schoss ein roter Porsche, dessen Scheiben sehr dunkel getönt waren, mit weit über hundert Meilen an ihr vorbei. Die Fliehkraft des Sportwagens schien sie förmlich anzusaugen.
»Verdammt noch mal!«, fluchte sie laut, während sie für wenige Sekunden Angst durchzuckte, doch gleich wieder verschwand, als sie den Wagen dabei beobachtete, wie er kurz im gelblichen Licht der Straßenbeleuchtung glitzerte und im nächsten Moment von der Nacht verschluckt zu werden schien. Ein Blick in den Rückspiegel warnte sie beizeiten, dass hinter ihr das Auto der State Trooper ebenso schnell aufschloss. Es fuhr ohne Blinklicht und Sirene, um das Zielfahrzeug zu erreichen, bevor der Raser merkte, dass es hinter ihm her war. Sie begriff, dass dies gegen die Vorschriften verstieß, und schätzte, dass der Polizist bei einer Gerichtsverhandlung lügen würde, falls man ihn danach fragte. Doch nur auf diese Weise konnte er hoffen, den Porsche zu schnappen, der schneller und wendiger war, und so sah sie den Ordnungshütern ihren kleinen Trick nach.
»Viel Glück«, wünschte sie. »Werdet ihr brauchen.« Sie hoffte, dass sich der Fahrer als ein Arzt, Anwalt oder Bauunternehmer in mittleren Jahren erwies, der versuchte, bei seiner halb so alten Freundin Eindruck zu schinden, und nicht als einundzwanzigjähriger, mit Koks und Testosteron zugedröhnter Drogenschmuggler – die Maschinenpistole geladen auf dem Beifahrersitz.
Die Nacht, dachte sie, ist gefährlich. Nach
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