Der Täter / Psychothriller
Fotografen heran, der noch einmal zur Kamera griff. Dann wandte er sich an Espy Martinez, die einen Schritt zurückgetreten war, aber die Stellung hielt.
Ihre Blicke trafen sich. Er zuckte mit den Achseln.
»Tut mir leid. Hab ich nicht gewusst«, sagte er.
Sie nickte und verspüre vorerst keinen Drang, ihre Stimme zu benutzen.
Walter Robinson wandte sich wieder dem Bett zu. Er starrte auf die kleinen weißen, vor Angst gebleckten Zähne.
»Ich hab noch nie eine strangulierte Katze gesehen«, erklärte er ruhig.
»Ich auch nicht«, erwiderte Espy Martinez grimmig.
Simon Winter stand draußen bei dem jungen Streifenpolizisten, doch durch die Tür entdeckte er Detective Robinson und Espy Martinez, die in Sophie Millsteins Wohnzimmer die Köpfe zusammensteckten.
»Wer ist das?«, erkundigte er sich.
»Das ist die diensthabende Staatsanwältin. Martinez, glaube ich.«
»Was will sie hier?«
»Vorschrift, wissen Sie. Jedem gemeldeten Tötungsdelikt wird ein Staatsanwalt zugewiesen, in der Praxis werden sie allerdings nur in ungefähr zehn Prozent der Fälle dazugeholt, meist dann, wenn die Detectives glauben, dass sie in die Abendnachrichten oder die erste Seite im Lokalteil des
Herald
kommen.«
»Sophie Millstein?«
»Ja, höchst wahrscheinlich. Meldung des Tages oder so, bis etwas Neues passiert.«
»Wahrscheinlich, Sie haben wohl recht.«
»Also«, meinte der Mann von der Streife. »Ich wette, Sie würden liebend gern nach Hause und schlafen gehen. Stimmt’s, Senior? Also, ich schieb noch vier Stunden Dienst. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte.«
»Was meinen Sie?«
»Sie haben das Opfer heute Nacht gesehen, richtig?«
»Sie wollen meine Aussage?«
Der Polizist hatte einen kleinen Notizblock und einen Bleistift gezückt. Er sah ungeduldig aus. »Ja, genau.«
Winter ordnete seine Gedanken und sprach schnell. »Am frühen Abend, vielleicht um sieben, klopfte Mrs. Millstein an meine Wohnungstür. Nummer einhundertdrei, direkt da drüben. Sie kam vom Einkauf zurück und war über etwas sehr erschrocken, und sie wollte, dass ich sie durch ihre Wohnung begleite, um mich zu vergewissern, dass sie sicher war.«
»Und das haben Sie gemacht?«
»Ja. Die Wohnung war leer, und ich habe die Türen und Fenster überprüft, die alle ordentlich verschlossen waren. Aber was ihr Angst machte …«
»Dann haben Sie niemanden irgendwo herumlungern gesehen, jemanden, auf den die Täterbeschreibung passt?«
»Nein.«
»Zum Beispiel draußen hinterm Haus?«
»Wie gesagt, nein. Ich habe niemanden gesehen. Solange ich mich in der Wohnung aufhielt, war niemand da. Aber sie hat diesen Mann beschrieben, den sie vorher gesehen hatte.«
»Okay, erzählen Sie.«
»Sie sagte, es wäre jemand, den sie aus der Kriegszeit kannte …«
»Was für einem Krieg?«
»Dem Zweiten Weltkrieg. In Berlin. 1943.«
»Berlin?«
»Deutschland.«
»Ach so, okay. Und dieser Jemand, den sie gesehen hat, das war kein junger Schwarzer, oder?«
Simon Winter starrte den Streifenpolizisten an, als hätte der Mann gerade die dümmste Frage gestellt, die ihm je zu Ohren gekommen war, was zweifellos der Wahrheit entsprach.
»Nein«, erwiderte Winter beherrscht. »Das war kein junger Schwarzer. Es war ein älterer Mann, doch sie beschrieb ihn als einen im höchsten Maße beängstigenden Menschen. Sie nannte ihn ›der Schattenmann‹ …«
»Wie? Der Schatten, Mann – was soll das heißen?«
»Nein. Der Schattenmann als Beiname. Eine Art Titel, könnte man sagen.«
»Ein Titel? Wie was? Hauptmann? Amtmann?«
»Wohl kaum.«
Er sah, wie der Stift des jungen Streifenpolizisten über dem Notizblock schwebte, bevor er etwas niederkritzelte.
»Dann kannte sie seinen richtigen Namen nicht?«
»Nein. Es war jemand, der mit ihrer Verhaftung und anschließenden Deportation zu tun hatte. Nach Auschwitz. Es war jemand …«
»Ach so, hier in Miami Beach gibt’s ’ne Menge alte Leute, die’s damals erwischt hat und die in den Knast gewandert sind.«
»Auschwitz war kein Knast. Es war ein Vernichtungslager.«
»Richtig, richtig, ich weiß. Also, dieser Kerl, den sie wiedererkannt hat …«
»Sie war sich nicht sicher.«
»Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn wiedererkannt hat?«
»Richtig«, sagte Simon Winter. »Es lagen fünfzig Jahre dazwischen.«
»Okay, sie hatte also vor diesem Schattenmann-Typen Angst, falls er es überhaupt war. Da sind Sie sich nicht sicher, und die alte Dame war es auch nicht. Okay. Glauben Sie, es hatte
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