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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Einbruch der Dunkelheit konnte die Wut im Verborgenen lauern, um sich in der warmen, regensatten Luft zu entladen. Espy Martinez strich sich nervös das Haar aus der Stirn und fuhr weiter.
    Einen Häuserblock weiter entdeckte sie die Blinklichter sowie die kreuz und quer geparkten Übertragungswagen der Fernsehsender. Zügig stellte sie den Wagen auf einem Parkplatz ab, eilte den Bürgersteig entlang und duckte sich unter dem gelben Absperrband hindurch, bevor sie von dem Dutzend Reportern und Kameraleuten gesichtet wurde, die in der Hoffnung umherschwärmten, dass endlich jemand kam und sie über den Stand der Dinge unterrichtete.
    Ein Streifenpolizist wollte sie gerade zurechtweisen, doch Espy Martinez hielt ihm bereits ihren Dienstausweis entgegen.
    »Ich suche Detective Robinson«, erklärte sie.
    Der Polizist warf einen Blick auf den Ausweis. »Tut mir leid, Miss Martinez, aber ich habe Sie für eine dieser Fernsehreporterinnen gehalten. Robinson ist drinnen.«
    Er zeigte in die entsprechende Richtung, und sie durchquerte den Hof, ohne den Posaunenengel zu bemerken. Sie blieb so abrupt stehen, als bliebe ihr die Luft weg.
    Das hier war erst der dritte Tatort in einem Mordfall, den sie besuchen musste. Bei den anderen beiden hatte es sich um anonyme Hinrichtungen im Drogenmilieu gehandelt; die Opfer waren jeweils junge Latinos ohne Papiere gewesen, höchst wahrscheinlich illegale Einwanderer aus Kolumbien oder Nicaragua. Jede Leiche hatte eine einzige Schusswunde im Hinterkopf gehabt, die aus einer kleinen Handfeuerwaffe stammte. Mord in seiner eindeutigsten, saubersten Form. Beinahe rücksichtsvoll. Ihre Leichen hatte man allerdings pietätlos auf leeren Grundstücken entsorgt – ohne ihnen den Goldschmuck, die prall gefüllten Brieftaschen oder exklusiven Kleider abzunehmen. In vielen Gerichtsbezirken hätte sich die Presse auf die Übereinstimmungen gestürzt und hartnäckig nachgefragt, ob es sich möglicherweise um die Taten eines Serienkillers handelte.
    Nicht so in Miami. Im Büro der Staatsanwaltschaft nannte man solche Morde scherzhaft
Kapitalverbrecherentsorgung
. Es gab unter den Staatsanwälten und Polizisten eine makabre Theorie, die sich etwa so zusammenfassen ließ: Je näher am Stadtzentrum ein Toter gefunden wurde, desto unbedeutender war er. Die richtig großen
Narcotistas
, die es erwischte, verwesten im Morast der Everglades oder versanken an einen Betonblock gekettet tausend Faden tief in den Gewässern des Golfstroms. Demzufolge waren die beiden Männer, die Espy Martinez flüchtig zu Gesicht bekommen hatte, Fliegengewichte, die ihren Tod wahrscheinlich durch einen einzigen ehrgeizigen Höhenflug provoziert hatten, durch die Missachtung einer unsichtbaren, aber nicht weniger fatalen Grenze. Ihren Killern waren sie jedenfalls nicht einmal die lästige Drecksarbeit wert gewesen, ihre Leichen unauffindbar zu entsorgen. Es waren keine Festnahmen zu erwarten. Keine Prozesse. Nur ein paar Zahlen in der Statistik.
    In keinem der beiden Fälle hatte sich Espy auch nur in die Nähe der Leichen begeben müssen. Sie war aus einem einzigen Grund dazu gerufen worden: Die Kriminalbeamten vom Morddezernat wollten der Staatsanwaltschaft vor Ort beweisen, dass praktisch keine Aussicht bestand, diese Fälle zu lösen.
    Das hier war etwas ganz anderes.
    Hier ging es um einen Menschen aus Fleisch und Blut, mit einem Namen, einer unverwechselbaren Geschichte, mit Angehörigen, Freunden, Bekannten, statt einer anonymen Person, die einfach nur ins Leben trat und wieder verschwand.
    Sie verharrte auf der Schwelle und versuchte, ihre Angst im Zaum zu halten. Ein Forensiker drängte an ihr vorbei, um einen Arm voll abgeschabter Proben hinauszutragen. »Darf ich?«, murmelte er, und um ihm nicht im Weg zu stehen, trat Espy Martinez in die Wohnung. Ein anderer Polizist warf ihr einen Blick zu, und sie nutzte den Moment, um ihre Dienstmarke an ihrer Handtasche zu befestigen. Als sie aufsah, winkte sie der Beamte ins Schlafzimmer durch. Sie holte einmal tief Luft, dann durchquerte sie den Raum, indem sie gleichzeitig alles und nichts registrierte.
    Eine Sekunde lang verharrte sie am Rande der Geschehnisse im Schlafzimmer des Opfers.
    Mehrere Männer standen am Fuß des Betts, so dass sie die Tote nicht sehen konnte. Einer bewegte sich ein Stück zur Seite, und sie erhaschte einen Blick auf Sophie Millsteins Fuß. Die Zehennägel waren in einem frechen Rot lackiert. Sie biss sich auf die Lippe. Espy Martinez holte noch

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