Der Täter / Psychothriller
begegnet, und ausnahmslos nur wenn es darum ging, sich seine Autorisierung zu einer Verständigung im Strafverfahren einzuholen. Dies gehörte in der Abteilung zu den Standardverfahren, seit ein unglücklicher Stellvertreter einmal bei einer wackeligen Anklage wegen häuslicher Gewalt einer unautorisierten Absprache zugestimmt hatte und der Angeklagte daraufhin aus dem Saal schnurstracks zu seinem Auto marschiert war, um sein Schnellfeuergewehr zu holen und vor dem Gerichtsgebäude als Erstes seine Ex-Frau nebst ihren beiden Schwestern und dann sich selbst zu erschießen. Im Büro ging seitdem der Witz um, der unselige Kollege, der die Übereinkunft ohne den höheren Segen vorgeschlagen hatte, wäre mit einer Kugel des Amokläufers glimpflicher davongekommen als unter dem Tobsuchtsanfall von Abe Lasser.
Vor der Tür zum Allerheiligsten holte sie tief Luft, klopfte an und trat ein. Lassers Sekretärin sah zu ihr auf und lächelte. »Gehen Sie schon rein. Er wartet auf Sie.« Damit warf sie einen vielsagenden Blick auf die Armbanduhr.
»Ich musste noch mit einem Detective vom Morddezernat sprechen«, erklärte Espy Martinez.
»Gehen Sie durch«, ermunterte sie die Sekretärin.
Espy Martinez marschierte ins Büro. Lasser saß hinter seinem Schreibtisch am Telefon. Mit einer stummen Geste forderte er sie auf, Platz zu nehmen, und redete weiter. Sie ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Die Wände zierten mehrere gerahmte Diplome und Nachweise der Mitgliedschaften in Anwaltskammern. Außerdem prangten dort die obligatorischen Fotos, auf denen Lasser mit verschiedenen Politikern sowohl der County- als auch der Bundesstaatsebene posierte, einschließlich einer Großaufnahme seiner Wenigkeit mit dem Gouverneur. Sonnengebräunt, grinsend, in T-Shirts und Shorts, standen sie am Rand eines Hafenbeckens und hielten jeder einen großen, toten Fisch in die Höhe.
Ein Stück von diesen Fotos entfernt befanden sich sieben weitere Bilder, jedes sorgfältig mit Passepartout versehen und in schimmerndem, schwarzem Stahl gerahmt. Hier prangten keine Politiker, sondern Charakterköpfe aus der Verbrecherkartei im Rechts- und Linksprofil sowie direkt von vorn, alle entstanden im Bezirksgefängnis. Espy Martinez starrte auf die Gesichter, die ihren Blick trotzig erwiderten. Vier der sieben Männer waren schwarz, zwei offenbar Latinos, der eine mit einer tätowierten Träne unter einem Auge, der andere mit einer Narbe in der Braue. Es war ein Weißer darunter, der böswillig dreist aus seinem Rahmen starrte. Sie betrachtete sein Gesicht, dann das eines der Schwarzen. Er wirkte schläfrig, beinahe lässig und hatte die Augen halb geschlossen, als gehörte es für ihn zur Routine, im Gefängnis fotografiert zu werden.
Abe Lasser wurde plötzlich laut:
»Hören Sie! Gottverdammt! Wenn Sie das drucken, bevor ich ins Gericht gehe, spazieren die Wichser mit Freispruch da raus. Freispruch, kapiert? Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?«
Er legte eine Hand über den Hörer, lächelte Espy Martinez an und flüsterte: »Der verdammte
Herald
hat eine Aussage der Grand Jury zur Abella-Schlägerei in die Hände bekommen.«
Espy Martinez nickte. Ein halbes Dutzend Polizisten hatte Enrique Abella wegen Trunkenheit am Steuer in einer wilden Verfolgungsjagd gestellt, und er hatte sich unter lauten Flüchen ergeben. Als er eine Dreiviertelstunde später im Bezirksgefängnis abgeliefert worden war, hatte er drei gebrochene Rippen, zahlreiche Prellungen, eine Unterkieferfraktur, sechs ausgeschlagene Zähne, eine Gehirnerschütterung zweiten Grades und ein Auge, das seine Sehkraft möglicherweise nicht wiedererlangen würde.
Abe Lasser drehte sich energisch auf seinem Sessel hin und her. »Nein, verdammt, Sie hören mir zu. Sie halten still, bis die Strafanträge gestellt sind – sie bleiben unter Verschluss, das verspreche ich Ihnen. Ich werde dafür sorgen, dass nur Sie und niemand sonst erfährt, wann die Wichser zur erkennungsdienstlichen Behandlung einbestellt werden. Sie haben dann die einzige Kamera vor Ort, okay? Das ist der Deal.«
Er schwieg und hörte zu, bevor er seine Antwort brüllte: »Nein, verdammt, Sie müssen mit keinem scheiß Herausgeber reden! Wir kennen uns jetzt seit zehn Jahren! Und wenn Sie nach so langer Zeit nicht in der Lage sind, einen Deal auszuhandeln, bei dem Sie zwei verfluchte Exklusivrechte rausschlagen, indem Sie im Gegenzug nur ein bisschen warten …«
Abe Lasser nickte plötzlich. Er
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