Der Täter / Psychothriller
lächelte. Sein Ton war augenblicklich sanft.
»Natürlich vertraue ich Ihnen. Und Sie mir. Jeder vertraut jedem. Sie bekommen was, ich bekomme was, und alle sind zufrieden, richtig?«
Plötzlich beugte er sich vor und sprach ruhig, ohne Bombast, vielmehr kühl und bedrohlich.
»Aber falls Sie mich bei der Sache verarschen, dann flattert Ihnen aus diesem Büro für die nächsten hundert Jahre kein Bericht mehr auf den Tisch. Dasselbe gilt für den Wichser, den der
Herald
dann an Ihre Stelle setzt, und für den, der danach kommt. Dann enden Sie alle in Opa-Locka und schreiben über spätabendliche Sitzungen des Bauausschusses.«
Es herrschte kurzes Schweigen, dann lehnte Abe Lasser sich plötzlich zurück und brach in Gelächter aus.
»Tja, verflucht, da haben Sie wahrscheinlich recht. Der Punkt geht an Sie.«
Er legte wieder die Hand über die Sprechmuschel und verkündete: »Der Mistkerl sagt, im umgekehrten Fall könnte ich froh sein, wenn ich noch Delikte wie verkehrswidriges Überqueren der Straße und Umweltverschmutzung vertreten dürfte.«
Er wandte sich wieder seinem Gesprächspartner in der Leitung zu.
»Dann sind wir uns handelseinig? Gut. Sollen wir uns mal zum Mittagessen treffen? Ich lad Sie ein? Verflucht, eigentlich eher Sie mich. Melden Sie sich bei meiner Sekretärin.«
Er legte auf.
»Können Sie das?«, fragte Espy Martinez. »Ich meine, ihm versprechen, dass er als einziger Reporter da ist, wenn diese Cops sich stellen …«
»Natürlich nicht«, erwiderte Abe Lasser.
Der stellvertretende Oberstaatsanwalt lächelte und verschob einige Papiere auf seinem Schreibtisch. Für einen Moment drehte er sich auf seinem Sessel zur Seite und sah aus seinem Fenster mit Blick über Miamis Innenstadt, die sich hinter dem wuchtigen, plumpen Bau des Bezirksgefängnisses in die Tiefe dehnte.
»Espy, wissen Sie eigentlich, wo ich wohne?«
Auf die Frage war sie nicht gefasst. »Nein, Sir, ich glaube nicht …«
»Wir haben ein wirklich schönes Haus direkt am Golfplatz des La Gorce Country Club, dabei zentral gelegen. Alt, in den Zwanzigern gebaut. Sie wissen schon: hohe Decken, Böden mit kubanischen Fliesen, Art-déco-Fensterrahmen. Meine Frau verbringt die meiste Zeit damit, es in Schuss zu halten, weil jede Woche irgendwas kaputt geht. Rohrleitungen. Undichtes Dach. Dann die Klimaanlage. Hat gestern Morgen den Geist aufgegeben. Sie wissen, wie heiß es letzte Nacht war?«
»Ja, aber …«
»Also sitze ich da, Espy, und zerbrech mir den Kopf darüber, wie ich diese vier Polizisten überführen kann, und ich bin froh, dass dieser Enrique Abella nicht schwarz ist und wir keinen Aufstand erleben, aber andererseits denke ich auch, diese Mistkerle könnten versuchen, aus diesem Fall politisches Kapital zu schlagen, und währenddessen haben wir in dem Haus zehntausend Grad, und es kostet mich drei Riesen, diese verdammte Klimaanlage zu reparieren, und mir läuft der Schweiß von der Stirn auf den Sportteil, den ich gerade zu lesen versuche, und raten Sie mal, wer anruft?«
Espy Martinez sagte nichts, sondern folgte ihrem Instinkt, den Monolog ihres Chefs besser nicht mit etwas so Banalem wie einer Antwort auf eine rhetorische Frage zu unterbrechen.
Abe Lasser beugte sich vor und lächelte freudlos. »Mein verdammter Rabbi ruft mich an.«
»Wie bitte?«
»Mein Rabbi. Rabbi Lev Samuelson, Tempel Beth-El. Dieser Mann, mit dem ich nur einmal im Jahr rede, wenn er Geld für Israel-Bonds eintreibt. Aber gestern Abend ging es nicht um Bonds. Wissen Sie, was der Grund seines Anrufs war?«
»Er wollte wissen, wann wir Sophie Millsteins Mörder verhaften.«
»Genau. Offenbar hat sein Kollege, ein Rabbi von einer anderen Synagoge unten in South Beach, ihn angerufen, weil er irgendwie erfahren hat, dass Rabbi Samuelson mich kennt, und jetzt raten Sie mal!«
Abe Lasser schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Ich konnte es ihm nicht sagen. Also sagen Sie es mir: Wann gibt es eine Verhaftung? Welcher Detective bearbeitet den Fall?«
»Walter Robinson.«
Abe Lasser lächelte. »Gut. Der hat jedenfalls eine Ahnung von dem, was er tut, und vergeigt es nicht von vorn bis hinten. Und der sagt was?«
»Er arbeitet dran.«
Lasser schüttelte den Kopf. »Das reicht mir nicht.«
»Der Forensik- und der Autopsiebericht lassen darauf schließen, dass …«
»Das interessiert mich nicht. Finden Sie den Mörder. Dann kann ich zu meinem Rabbi gehen und ihm sagen, dass die Staatsanwaltschaft von Dade County
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