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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Schlag kam er sich lächerlich vor.
    »Wenn er also kurz vor seinem Tod …«, fing Winter unsicher an.
    »… jemandem erzählt hat, er hätte den Schattenmann gesehen? Dann wäre das nicht allzu ungewöhnlich, Mr.Winter.«
    »Nicht allzu ungewöhnlich, aber doch ein bisschen?«
    »Ja. Das Einzige, was daran ungewöhnlich ist, ist der Umstand, dass er jemand anderem davon berichtet hat. Normalerweise – mir fällt keine einzige Ausnahme ein – hat er, wenn er diesen Mann wieder einmal sichtete, entweder mich, meinen Bruder oder meine Schwester angerufen. Dann ist derjenige von uns die Begegnung in allen Einzelheiten mit ihm durchgegangen, hat ihm klargemacht, dass ihm die Erinnerung einen Streich gespielt hatte und die Erscheinung nicht real gewesen war. Soweit ich weiß, hat er sich niemals an einen Fremden gewandt.«
    »Und Sie meinen, er hat diesen Mann nie wirklich gesehen?«
    »Nein. Aber ich habe einen Tag vor seinem Tod mit ihm gesprochen, und er hat mir gegenüber nichts erwähnt. Doch er war erregt. Nervöser, beunruhigter und depressiver als ich ihn je zuvor erlebt hatte. Dabei hat er die ganze Zeit über unsere Mutter gesprochen und nicht über den Schattenmann. Wenn ich genau überlege, hat er ihn möglicherweise doch einmal erwähnt.«
    »Und Sie konnten ihn beruhigen und ihm das, was er zu sehen glaubte, ausreden?«
    »Richtig.«
    »Wirkte er verängstigt?«
    Der Professor überlegte, dann erwiderte er: »Vielleicht konnte man die Mischung an Gefühlen, mit denen er zu kämpfen hatte, zum Teil als Angst interpretieren. Ich weiß nur noch, dass ich danach beunruhigt war und meine Geschwister angerufen habe. Wir kamen zu dem Schluss, dass einer von uns nach Miami fliegen und ihn besuchen sollte. Aber bis wir alles arrangiert hatten, war es schon zu spät.«
    Wieder legte der Professor eine Pause ein, dann fügte er hinzu: »Klinge ich gefühllos, Mr.Winter? Unsensibel?«
    »Nein«, log Winter.
    »Das ist eine merkwürdige Sache, Mr.Winter. Jemanden, den man liebt, dafür zu hassen, was er sich selbst angetan hat. Das stürzt einen in seltsam gemischte Gefühle.«
    »Es tut mir leid, auf diese Weise daran zu rühren.«
    »Nein, schon gut. Seltsamerweise ist es irgendwie leichter, mit einem Fremden darüber zu sprechen, als jemandem, den man kennt. Sind Sie meinem Vater je persönlich begegnet, Mr.Winter?«
    »Nein.«
    »Er war ein ungewöhnlicher Mann.«
    »Inwiefern?«
    »Er hatte ständig das Gefühl, der Welt etwas schuldig zu sein. Er versuchte andauernd, Schulden zu begleichen.«
    »Geld?«
    »Nein. Schulden der Seele, Mr.Winter.« Der Professor lachte, als käme ihm eine amüsante Erinnerung in den Sinn. »Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Mein voller Name lautet George Washington Woodburn Stein. Nicht gerade ein Allerweltsname, wie?«
    »Nein.«
    »Dann erzähle ich Ihnen mal, wie ich an meinen Namen gekommen bin, und das wird Ihnen ein bisschen dabei helfen zu verstehen, wie mein Vater war. Er wurde 1942 zusammen mit meiner Tante, meinem Onkel und meinen Großeltern gefasst. Sie lebten untergetaucht in Berlin …«
    »Der Schattenmann?«
    »Ja. Er kannte meinen Onkel, jedenfalls nach Aussage meines Vaters. Hat ihn während eines Luftangriffs in einem Bunker entdeckt.«
    »Und?«
    »Was denken Sie, Mr.Winter? Die Gestapo kam. Nahm sie mit. Sie sind alle im KZ umgekommen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Mein Vater dagegen hat es geschafft zu überleben. Als der Krieg zu Ende ging, war er siebzehn. Gegen Ende war natürlich die Hölle los. Aufgrund der Frontverläufe hat die SS sie ständig von einem KZ zum anderen gejagt. Ich vermute, dass diese Märsche auf ihre Art genauso schlimm waren wie alles, was sie schon hinter sich hatten. Wenn man so viel durchgemacht hatte und immer noch am Leben war und am Ende nur wenige Kilometer von den Truppen der Alliierten entfernt den Erschöpfungstod vor Augen hat … Mein Vater hat erzählt, dass unterwegs viele starben, indem sie einfach am Straßenrand niedersanken, als versetzte ihnen die bloße Hoffnung aufs Überleben den Todesstoß.«
    »Doch er hat überlebt.«
    »Ja. Aber nur knapp. Er hat erzählt, er sei in einer Baracke zusammengebrochen. Es war Nacht, und sie waren Dutzende, aberwitzig nutzlose Meilen auf dem Todesmarsch. Sie hatten seit Tagen nichts gegessen, sie starben an Typhus, Grippe, Lungenentzündung und was weiß ich für Krankheiten, sie starben wie die Fliegen. Dabei konnten sie aus der Ferne schon Artilleriefeuer hören, und einmal hat er

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