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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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mir erzählt, dieses Geräusch hätte geklungen, als ob Hunderte von Menschen gleichzeitig an die Himmelspforten klopften. Er rechnete mit dem Tod. Als er am Morgen erwachte, war er erstaunt, die Sonne zu sehen, und er wusste, dass sein letzter Tag gekommen war, also kroch er aus seinem Bett – natürlich keinem richtigen Bett, einer Holzpritsche in einer der Baracken –, dann aus der Tür, obwohl er wusste, dass eine der SS -Wachen ihn erschießen würde, bevor er allzu weit kam, doch um ein letztes Mal die Sonne im Gesicht zu spüren, war es ihm das wert. Aber die Wachen hatten in der Nacht die Flucht ergriffen. Im Lager war es bis auf unartikulierte Laute des Staunens und des Sterbens ruhig. Mein Vater schleppte sich auf den Appellplatz hinaus. Arbeit macht frei. Dieses Motto stand am Tor. Wie er uns erzählte, beschloss er, dort auf seinen Tod zu warten. Mit siebzehn, Mr.Winter. Mit siebzehn wartete er in der Sonne darauf zu sterben.«
    In der Leitung war ein tiefer Atemzug des Professors zu hören. »Ich habe meinen Vater geliebt«, versicherte er. »Aber, wissen Sie, manchmal kam es mir so vor, als hätte er seit diesem Tag die ganze Zeit darauf gewartet zu sterben.«
    Der Professor verstummte und ergänzte nach einer Weile noch etwas, das ihm in Erinnerung geblieben war: »Das hat er sogar selbst gesagt, als er nach Miami Beach zog. Er wollte immer noch in der Sonne sterben. Für ihn schien es der richtige Ort zu sein.«
    »Und was war mit Ihrem Namen?«, fragte Simon Winter.
    »Er sagt, er sei eingeschlafen, als die Sonne aufging. Und nach einiger Zeit hörte er, wie ihn von oben ein Engel anredete. Er hat uns immer erzählt, wie sehr er staunte, dass dieser Engel Englisch sprach. Mein Vater konnte Englisch, denn er hat einen Teil seiner Kindheit … nun, das ist eine andere Geschichte. Aber er war mit der Sprache vertraut, und er hörte den Engel sagen: ›Aber hier ist jemand am Leben …‹ Also schlug er die Augen auf und dachte, er wäre im Himmel, doch stattdessen blickte er in das Gesicht von Sergeant George Washington Woodburn. Ein sehr schwarzes Gesicht, Mr.Winter. Ein schwarzer Engel. Sergeant Woodburn gehörte dem Achtundachtzigsten Panzerbataillon an. Wissen Sie übrigens, welchen Spitznamen die sich gaben? ›Eleanor Roosevelts Nigger‹, aber auch das ist eine andere Geschichte. Und so streckt mein Vater, Herman Stein, die Hand aus, berührt diesen Sergeant Woodburn an der Wange und fragt: ›Bin ich tot?‹, und Sergeant Woodburn antwortet: ›Nein, mein Junge. Bist du nicht.‹ Später fand mein Vater das absolut komisch. Der Sergeant hatte einen kräftigen Alabama-Akzent, wie Sie sich denken können, und wahrscheinlich war es fünf oder sechs Jahre her, seit mein Vater das letzte Mal Englisch gehört hatte – die gepflegte britische Variante, die der feinen Upper Class. Aber er sagte, er könne sich an jedes einzelne Wort des Sergeants erinnern. Und so hebt dieser Sergeant Woodburn meinen Vater auf, trägt ihn durchs ganze Lager und brüllt: ›Sanitäter! Sanitäter!‹, und mein Vater hat immer gesagt, das Einzige, woran er sich danach erinnern konnte, wären diese kräftigen Arme, die ihn hielten – er wog nur noch sechzig Pfund –, und dieser riesige schwarze Mann ruft nach einem Doktor und sagt: ›
You ain’t dyin’ boy. No Sir. You ain’t gonna dy.
Du wirst nicht sterben, mein Junge. Du bleibst mir schön am Leben …‹«
    Man hörte dem Professor an, dass er aufgewühlt war.
    »Sergeant Woodburn trägt also meinen Vater zu einer Ambulanz und einem Arzt und wiederholt die ganze Zeit: ›
You ain’t dyin’, no Sir.
‹ Als mein Vater das nächste Mal erwacht, liegt er in einem Lazarett, und so bleibt er am Leben. Deshalb bin ich nach Sergeant George Washington Woodburn benannt. Im Laufe meiner Kindheit und Jugend haben uns unsere Eltern alle paar Jahre ins Auto verfrachtet und nach Jefferson City in Alabama gefahren, um die Woodburns zu besuchen. Er wurde da Brandmeister. Hat sechs Söhne großgezogen. Der Jüngste studiert gerade hier an der Uni. Wir veranstalteten immer wieder Familientreffen, und jedes Mal haben mein Vater und der Brandmeister dieselbe Geschichte erzählt. Sie haben ihre Späße gemacht und gelacht, und der Brandmeister hat versucht, meinen Vater wie damals hochzuheben, aber er hat es nicht mehr geschafft, und alle fanden das zum Brüllen komisch. Er ist selbst vor wenig mehr als einem Jahr gestorben. Wir waren alle auf seiner Beerdigung. In

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