Der Täter / Psychothriller
hässlich und konnte nicht nachvollziehen, wie er zu seinem vornehmen Namen gekommen war. Als Robinson seine Waffe wieder ins Schulterholster steckte, wandte Martinez sich ab. Einen Moment lang versuchte sie, sich vorzustellen, wie es für ihn oder Sergeant Lion-Man oder irgendeinen anderen schwarzen Polizeibeamten sein musste, bei Nacht und Nebel auf der Suche nach einem anderen Schwarzen mit einem Haftbefehl wegen Mordes an einer Weißen in die King Apartments einzudringen. Sie hätte Walter Robinson gerne danach gefragt, doch das war nicht möglich. Jedenfalls nicht in diesem Moment. So sagte sie stattdessen etwas, das ihr aus irgendeinem verborgenen Winkel ihres Innern einfach auf die Lippen kam.
»Hey, Walter«, flüsterte sie, als er aus dem Polizeiauto stieg, »passen Sie auf sich auf.«
Er lachte zur Antwort. »Vorsicht ist meine zweite Natur.«
Der Holzfäller und ein weiterer Detective verließen das zweite nicht gekennzeichnete Fahrzeug und schlossen sich Robinson an. Auf der anderen Straßenseite erteilten die beiden Sergeants der städtischen Polizei Miami mehreren Kollegen in Uniform Anweisungen. Sie waren die Verstärkung. Kurz darauf eilten die beiden Sergeants über die Straße.
Juan Rodriguez meldete sich als Erster zu Wort. »Lion-Man wär dann so weit, Walter. Ein paar von unseren Jungs gehen hintenrum. Die übrigen folgen dir. Fackeln wir nicht lange, nix wie rein und wieder raus. Schnappen wir uns den Schleimscheißer, bevor seine Nachbarn Ärger machen. Dann können wir in Ruhe seine Bude durchsuchen.
Comprende?
«
»Klingt gut. Wer geht hintenrum?«
»Schätze, das Jungvolk.«
»Komm schon, Juan, blutige Anfänger?«
»Hey, die müssen das lernen, die sind schon in Ordnung. Richtige Feuerfresser. Sind schon fast ein Jahr auf der Straße. Alle beide. Außerdem gibt’s an der Rückseite sowieso nur ein einziges Klofensterchen. Wenn er da türmen wollte, müsste er sich Flügel wachsen lassen. Walter, Kumpel, die King Apartments sind wie ein Gefängnis. Die meisten Wohnungen haben sogar vergitterte Fenster, nur dass sie damit Leute draußen halten und nicht einsperren wollen. Ist letztlich Jacke wie Hose. Wir brauchen nur die Zellentür von Nummer dreizehn aufzureißen und die Bude auf den Kopf zu stellen. Wie heißt es noch so schön in dem Song?
No place to run, no place to hide.
«
»Klingt bei dir wie ein Kinderspiel. Das gefällt mir«, erwiderte Robinson. »Also gut. Sind alle so weit? Lion-Man, trägst du deine Weste?«
»Klar hab ich das verdammte Ding übergezogen. Ist scheußlich heiß und unbequem, und es sieht so unvorteilhaft aus, das gefällt mir nicht.«
»Musst dich schon entscheiden, ob dir deine Eitelkeit ein Loch in der Brust wert ist, Lion-Man«, konterte Rodriguez sarkastisch.
»Äh, Sergeant, viele Frauen stehen auf Männer, an denen ordentlich was dran ist«, warf Espy Martinez ein. »Sie wissen schon …«
Die anderen Polizisten grinsten alle, als Lionel Anderson sich zum Dank an die Dienstmütze tippte und eine gewisse Verlegenheit über die Zweideutigkeit zu kaschieren versuchte.
»Ja, Ma’am, sicher doch. Aber an der richtigen Stelle.«
Espy Martinez beugte sich vor und knuffte dem Sergeant in die Brust. »Tragen Sie einfach die Weste«, meinte sie.
»Für Sie mit Vergnügen.«
»Vielleicht auch für Miss Yolanda?«
»Ah, den Aspekt hatte ich nicht bedacht, Miss Martinez.«
»Alle legen bitte ihre kugelsicheren Westen an«, sagte Martinez in die Männerrunde. Alle nickten. »Außer mir«, fügte sie hinzu, »da ich hier in Sicherheit bleibe.«
Die Männer lachten und waren vermutlich dankbar dafür, dass Martinez sie mit ihrer Witzelei ein wenig entspannte. Am liebsten hätte sie ihnen allen gestanden, dass die Scherze, das Grinsen und ihre Nonchalance eine einzige Lüge waren, doch das wäre ihr nicht über die Lippen gekommen. Stattdessen wandte sie sich an Walter Robinson. Er nickte ihr zu. Er weiß es, dachte sie.
Robinson hielt die Hand hoch, um sich die Aufmerksamkeit der anderen zu verschaffen. »Dass mir keiner die Tour vermasselt«, mahnte er. »Jeder wirft am besten noch mal einen Blick auf das Fahndungsfoto von Jefferson.«
Er reichte ihnen die Abzüge.
Lionel Anderson sah sich das Bild aufmerksam an. »Wisst ihr was? Ich glaube, ich erinnere mich an den Kerl. Was hat er für einen Spitznamen?«
»Hightops.«
»Dann muss es derselbe Kerl sein. Hat für die Carol City High ein bisschen Ball gespielt, vielleicht vor zehn Jahren.
Weitere Kostenlose Bücher