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Der Täuscher

Der Täuscher

Titel: Der Täuscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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unserem letzten Highschooljahr.«
    »Das Stück Beton? Aus dem Stagg-Field-Stadion?« Rhyme hatte die Stirn gerunzelt.
    »Wie meinst du das?« Es musste mehr dahinterstecken als der Gewinn eines Souvenirs, das nur für eine Handvoll Leute auf der Welt Bedeutung besaß.
    »Das hat mir zugestanden!«, hatte sein Cousin geschrien, als wäre er das Opfer gewesen. »Immerhin hat Vater mich nach dem Leiter des Atomprojekts benannt. Ich wusste, dass er dieses Anden
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    ken behalten hatte. Ich wusste, er würde es mir zum Schul- oder Studienabschluss schenken. Es hätte mein Abschlussgeschenk sein sollen! Ich hatte es mir all die Jahre so sehr gewünscht!«
    Rhyme war sprachlos gewesen. Da standen sie nun, zwei erwachsene Männer, und redeten wie Kinder über ein gestohlenes Comicheft oder irgendwelche Süßigkeiten.
    »Er hat die eine Sache weggegeben, die mir wichtig war. Und ausgerechnet du hast sie bekommen.« Seine Stimme zitterte. Weinte er etwa?
    »Arthur, ich habe bloß ein paar Fragen beantwortet. Es war ein Spiel.«
    »Ein Spiel? . . Scheiße, was sollte dieser Mist? Es war Heiligabend! Wir hätten Weihnachtslieder singen oder uns Ist das Leben nicht schön? anschauen sollen. Aber nein, nein, Vater musste al es in ein beschissenes Klassenzimmer verwandeln. Das war peinlich! Es war langweilig. Aber niemand hatte den Mut, dem großen Professor mal die Meinung zu sagen.«
    »Herrje, Art, das war doch nicht meine Schuld! Ich habe bloß einen Preis gewonnen.
    Ich habe dir doch nichts weggenommen.«
    Ein kaltes Lachen. »Nein? Tja, Lincoln, ist dir nie in den Sinn gekommen, dass du mir eventuell doch etwas weggenommen haben könntest?«
    »Was denn?«
    »Denk doch mal nach! Vielleicht. . meinen Vater.« Er hielt inne und atmete tief durch.
    »Wovon, zum Teufel, redest du da?«
    »Du hast ihn mir gestohlen! Hast du dich je gefragt, warum ich mich nie für die Leichtathletikmannschaft beworben habe? Weil du die bereits mit Beschlag belegt hattest! Und in akademischer Hinsicht? Du warst sein anderer Sohn, nicht ich. Du hast in seinen Seminaren gesessen. Du hast ihm bei seinen Forschungen geholfen.«
    »Das ist doch verrückt. . Er hat auch dich zu den Seminaren eingeladen. Das weiß ich genau.«
    »Einmal hat mir gereicht. Er hat mich zerpflückt, bis ich nur noch heulen wollte.«
    »Er hat jeden ins Kreuzverhör genommen, Art. Deshalb war 238
    er ja so brillant. Er hat dich zum Denken gebracht, hat dich bedrängt, bis du die richtige Antwort gefunden hattest.«
    »Aber einige von uns konnten ihm nie die richtige Antwort geben. Ich war gut. Doch ich war nicht überragend. Und von dem Sohn eines Henry Rhyme wird erwartet, dass er überragend ist. Letztlich spielte es keine Rolle für ihn, denn er hatte ja dich. Robert ist nach Europa gegangen, Marie nach Kalifornien gezogen. Und sogar dann wollte er mich nicht. Er wollte dich!«
    Der andere Sohn. .
    »Ich habe mir diese Rolle nicht ausgesucht. Und ich habe deine Stellung nicht untergraben.«
    »Ach, nein? So, Mr. Unschuldig. Du hast das Spiel nicht mitgespielt? Du bist nur zufällig am Wochenende zu uns gefahren, auch wenn ich nicht da war? Du hast ihn nicht zu deinen Wettläufen eingeladen? Natürlich hast du das. Sag mir: Welchen der beiden hättest du lieber als Vater gehabt, deinen oder meinen? Hat dein Vater sich je so um dich bemüht? Hat er dich je lautstark von der Tribüne aus angefeuert? Je beifällig die Augenbraue hochgezogen, um seine Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen?«
    »Das ist doch alles Blödsinn«, hatte Rhyme barsch entgegnet. »Du hast ein Problem mit deinem Vater, und was machst du? Du sabotierst mich. Ich hätte es ans MIT geschafft.
    Doch du hast das verhindert! Mein ganzes Leben wurde verändert. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre alles anders gekommen.«
    »Nun, ich kann dasselbe über dich sagen, Lincoln. Ich kann dasselbe sagen. . Hast du es mit deinem Vater jemals auch nur versucht? Was glaubst du, wie er sich gefühlt hat, einen Sohn wie dich zu haben, der hundertmal schlauer war als er selbst? Und der immerzu abgehauen ist, weil er lieber bei seinem Onkel sein wollte. Hast du Teddy überhaupt je eine Chance gegeben?«

    Bei diesen Worten hatte Rhyme den Hörer wütend auf die Gabel geschmettert. Das war ihr letztes Gespräch gewesen. Einige Monate darauf wurde Rhyme bei dem Tatortunfall gelähmt.
    Alles wäre anders gekommen. .
    »Deshalb hat er dich nie besucht«, sagte Sachs.
    Er nickte. »Damals nach dem Unfall habe ich im Bett

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