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Der Täuscher

Der Täuscher

Titel: Der Täuscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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würde, denn dadurch hätte er nichts gewonnen. Der Kriminalist vermutete eher, dass Soames entführt werden sollte. Dann wollte der Killer ihn verhören, um herauszufinden, was die Polizei wusste. Später würde er ihn ermorden oder vielleicht ihm und seiner Familie drohen, damit Soames die Ermittlungen sabotierte. Also sah das Drehbuch vor, dass Roland Bell eine weniger bevölkerte Strecke einschlug, damit 522 seinen Zug machen und sie ihn dabei überwältigen konnten. Sellitto hatte eine Baustelle ausfindig gemacht, die sich zu diesem Zweck anbot. An ihrem Rand verlief ein langer, derzeit für die Öffentlichkeit gesperrter Gehweg, der eine Abkürzung zur Police Plaza Nummer eins darstellte. Bell würde die Absperrung ignorieren und dem Bürgersteig folgen, wo ihn die Kameras nach zehn oder zwölf Metern nicht mehr erfassen konn
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    ten. Am anderen Ende wartete ein Zugriffteam, das sich um 522 kümmern sollte.
    Der Detective bog ab, stieg über das Absperrband und ging auf dem staubigen Gehweg weiter. Sein empfindliches Mikrofon übertrug das Rattern und Dröhnen der Presslufthämmer und Rammen direkt in den Überwachungswagen.
    »Noch haben wir dich im Bild, Roland«, sagte Sellitto, während neben ihm einer der Beamten einen Schalter betätigte und auf eine andere Kamera umschaltete. »Siehst du auch zu, Line?«
    »Nein, Lon. Im Fernsehen läuft gerade Let Them Dance. Jane Fonda und Mickey Rooney sind das nächste Paar.«
    »Das heißt Let's Dance, Line.«
    »Biegt auch Fünf Zweiundzwanzig ab?«, ertönte Rhymes Stimme aus den Lautsprechern. »Oder kneift er? .. Na los, komm schon.. «
    Sellitto bewegte die Maus und öffnete durch einen Doppelklick ein zusätzliches Fenster mit dem Bild einer weiteren Videokamera des Überwachungsteams. Man sah Bell von hinten, wie er sich immer weiter entfernte. Der Detective betrachtete neugierig die Baustelle, als wäre er ein ganz normaler Passant. Einen Augenblick später tauchte in einigem Abstand 522 hinter ihm auf und schaute sich ebenfalls um, obwohl es ihm dabei eindeutig nicht um die Arbeiter ging; er hielt nach Zeugen oder der Polizei Ausschau.
    Dann zögerte er, warf noch einen Blick in die Runde und beschleunigte seinen Schritt.
    »Okay, an alle, es geht los«, rief Sellitto. »Er kommt näher, Roland. Wir verlieren in etwa fünf Sekunden den Sichtkontakt, also pass gut auf dich auf. Verstanden?«
    »Ja«, sagte der Beamte gelassen, als würde er einem Barmann antworten, der ihn gefragt hatte, ob er zu seiner Flasche Budweiser ein Glas haben wolle.
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    . Fünfunddreißig
    Roland Bell war nicht ganz so ruhig, wie er klang.
    Er war der verwitwete Vater zweier Kinder, besaß ein hübsches Vorstadthaus und hatte in der alten Heimat eine Freundin, der er womöglich bald einen Antrag machen würde. . All diese privaten Dinge waren wenig förderlich, wenn man bei einer verdeckten Operation das hilflose Opfer spielen sollte.
    Trotzdem konnte der Detective nicht anders, als seine Pflicht zu erfüllen - vor allem bei einem Täter wie diesem 522, einem Vergewaltiger und Mörder, einer Sorte Verbrecher, die Bell ganz besonders verabscheute. Und um die Wahrheit zu sagen, die Anspannung bei Einsätzen wie diesem störte ihn nicht.
    »Wir alle nehmen letztlich den Platz ein, der uns zukommt«, hatte sein Vater oft gesagt, und als dem Jungen klar geworden war, wie viel Wahrheit darin steckte, hatte er diese Gelassenheit zu einem Grundpfeiler seines Arbeitslebens werden lassen.

    Sein Jackett war nun aufgeknöpft, und seine Hand schwebte ganz in der Nähe seiner Lieblingspistole, einem Musterbeispiel für italienische Wertarbeit. Falls nötig, konnte er in einer fließenden Bewegung ziehen, zielen und abdrücken. Er war froh, dass Lon Sellitto endlich Ruhe gab. Bell musste hören, wann sein Gegner sich näherte, und das Bumm Bumm Bumm der Ramme war ziemlich laut. Aber wenn er sich konzentrierte, konnte er hinter sich auf dem Bürgersteig dennoch Schritte ausmachen.
    Knapp zehn Meter, schätzte er.
    Bell wusste, dass vor ihm ein Zugriffteam wartete, wenngleich er niemanden sehen konnte, da der Weg eine scharfe Kurve beschrieb. Der Plan sah vor, dass die Kollegen 522 überwältigen sollten, sobald sie freies Schussfeld hatten und keine Unbeteiligten mehr gefährdet waren. Da der vordere Teil des Gehwegs sowohl von einer nahen Straße als auch von der Baustelle aus eingesehen werden konnte, hatten sie darauf spekuliert, dass der Killer erst angreifen würde, wenn Bell sich näher

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