Der Tag, an dem das Glück zurückkam (Bianca) (German Edition)
trachten.
Im Vorbeigehen hatte er seine Tasche aus dem Auto geholt, die nun beim Laufen ständig gegen seinen Rücken prallte.
Was er heute brauchte, um den Kopf freizubekommen, war eine Wanderung durch den Wald und später eine Nacht im Freien. Dass es illegal war, im Nationalpark zu campen, war ihm dabei völlig egal. Schließlich grenzte dieser direkt an Lisas Grundstück an und war meilenweit von Wald umgeben.
Mit stampfenden Schritten ignorierte er die Wurzeln, gegen die er mit seinen Stiefeln stieß. Der Duft der Kiefernbäume, den er sonst so anziehend fand, konnte seine finstere Stimmung nicht mildern.
Er hatte ihr die Wahrheit gesagt. Die ganze Wahrheit. Er hatte sich nie verziehen, was an jenem Tag passiert war: Dass er unachtsam gewesen war und so die Scharfschützen übersehen hatte. Dass er nicht „Nein“ geschrien hatte, als William gekommen war, um ihn zu retten. Dass er nicht schnell genug gehandelt und die ganze Situation verhindert hatte.
Genauso wie er sich nie verziehen hatte, dass er am Tag des Unfalls nach einem Eis verlangt hatte. Dass seine Eltern seinetwegen ins Auto gestiegen waren.
Alex hielt an und stützte sich an einem Baumstamm ab, um wieder zu Atem zu kommen. Und seine Gedanken zu sortieren.
Bei dem Einsatz, als es passiert war, war alles so schnell gegangen. Zu schnell, um irgendetwas unternehmen zu können. Zu schnell, um William davon abzuhalten, sein eigenes Leben zu opfern. Er war genauso machtlos gewesen wie damals als kleiner Junge.
Seine Gedanken wanderten zu Lisa zurück. Und zu dem Entsetzen, das sich in ihrem Gesicht abgezeichnet hatte. Er hatte sie sehr verletzt.
Wäre er doch von Anfang an ehrlich zu ihr gewesen. Wieso hatte er es erst soweit kommen lassen, bevor er ihr seine Schuld gestanden hatte?
Der Schmerz bohrte sich heftig in seinen Bauch. Doch er ignorierte ihn so, wie er ein plötzliches Hungergefühl ignoriert hätte.
Dann marschierte er weiter.
Inzwischen war es dunkel, und Alex war noch immer nicht zurück. Lisa fing an, sich Sorgen zu machen.
Das Problem war, dass sie weder ihre Mutter noch ihre Schwester anrufen wollte. Was sollte sie ihnen denn erzählen? Dass der Mann, von dem sie sowieso steif und fest behauptet hatte, dass er nur zu Besuch war, gegangen war und nicht mehr zurückkehren würde?
Sie wollte ihn ja nicht überwachen, aber dass er einfach im Wald verschwand und vor Einbruch der Dunkelheit nicht zurückkam, damit hatte sie nicht gerechnet.
Allerdings hätte er niemals den Leihwagen in ihrer Auffahrt zurückgelassen, wenn er nicht vorhatte, wiederzukommen. Und seine Sachen waren auch noch in der Hütte.
Im Moment hätte sie sich nichts mehr gewünscht, als seine starke Gestalt zu sehen, die den Rasen heraufgestapft kam. Oder seinen Schatten, der sich hinter den Vorhängen der Hütte bewegte. Oder sein Klopfen an der Tür zu hören.
Sicherheitshalber hatte sie abgeschlossen, aber sie war bereit, sie zu öffnen, sobald er nach Hause kam.
Nach Hause. Ein Wort, das ihr selbst vertraut war. Ihr war jedoch klar, dass das bei ihm nicht der Fall war. Es schmerzte sie, zu wissen, dass er ganz alleine auf der Welt war.
Als er auf ihrer Türschwelle aufgetaucht war, war er so traumatisiert gewesen, dass sie kaum eine Hoffnung für ihn gesehen hatte. Doch dann war sie mit eigenen Augen Zeugin seiner Verwandlung geworden. Die war Lillys Verdienst. Dadurch, dass sie begonnen hatte, mit ihm zu reden, hatte sie einen Stein ins Rollen gebracht.
So, wie Lilly ihre Sprache wiedergefunden hatte, hatte Alex sich selbst wiedergefunden.
Lisa wusste, dass er tief in seinem Innern eine liebevolle, tapfere und ehrliche Person war. Es war nur der Schmerz, der ihn zerfraß, ihn innerlich aushöhlte. Doch sie wollte ihm helfen, ihn zu überwinden.
Lisa ging ein letztes Mal zum Fenster, drückte ihre Stirn an die Scheibe und ließ vor ihrem inneren Auge ein Bild von Alex entstehen.
Er war Soldat, rief sie sich ins Gedächtnis. Er würde schon zurechtkommen.
Und wie lange war es her, dass ein Mann in diesem Teil des Staates von einem Bären angegriffen wurde? Viele Leute campten im Nationalpark.
Davon abgesehen konnte sie ohnehin nichts anderes tun, als abzuwarten.
Unwillkürlich musste sie wieder an William denken. Er hätte nie so etwas Leichtsinniges getan, wie wegzurennen und bis nach Anbruch der Dunkelheit dort zu bleiben.
Allerdings war Williams Gemütszustand stabiler gewesen als der von Alex. William hatte stets viel gesprochen. Er war in
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