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Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Titel: Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Halperin
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alles würde gut werden.
    »Bitte nicht aufhören!«
    Ich muss wohl panisch geklungen haben. Sie muss es aus meiner Stimme herausgehört haben, und es ängstigte sie. Vom Atmen abgesehen war sie still wie ein Stein.
    »Hör zu«, sagte ich. »Es ist gar nicht so schwer.«
    … doch ihre Augen wurden blind, ihre Pupillen feste, schwarze Schalen …
    »Ich kenne die Buchstaben. Ich bringe sie dir bei.«
    Ich versuchte zu singen: »Ha-ih- jott -kah …«
    Schweigen.
    »Komm schon!«, flehte ich. »Sing mit!
    »Ha-ih- jott -kah-el-em-en-…«
    Verzweifelt suchte ich in ihren Augen. Alles schwarz, völlig schwarz. Nicht der kleinste Schlitz darin.
    Die Scheibe taumelte wild herum, ruderlos, führerlos …
    Mein Kind wand sich in meinen Armen. Es miaute wie eine Katze.
    »Nein«, sagte ich. »Nicht wieder dieser Schrei. Bitte.«
    … raste über den Nachthimmel, tausend Meter über der felsigen Wüste …
    Das Miauen. Lauter. Bereit, sich in ein Kreischen zu verwandeln. Den Schmerz und das Entsetzen herauszuschreien, die sich hinter den schwarzen Augen verbargen.
    »Schscht. Leise. Ich kann es nicht ertragen. Verstehst du? Ich halte es nicht aus.«
    … flog im weiten Bogen abwärts, abwärts …
    Dann kam der Schrei. Genau wie in dem Auto bei den Soldaten, mit Julian am Steuer. So einen Schrei hatte ich vorher
nie gehört. Ich hatte gehofft, ich müsste ihn nie wieder hören.
    Er füllte die Flugscheibe aus, jeden einzelnen Kubikzentimeter, jeden Winkel, ob eckig oder gebogen. Mit aller Trauer, aller Wut und Angst, die sie in ihrem zarten Körper trug, an jedem einzelnen Tag ihres kurzen Lebens. Es heulte mir durch Leib und Seele, und ich wusste, ich würde den Verstand verlieren, wenn es nicht aufhörte. Um sie zu retten, und auch mich, musste ich sie zum Schweigen bringen. Das war der Grund, wieso ich sie an mich presste, ihr winziges Gesicht an mein weiches Hemd drückte. Wieso ich spürte, dass sie wie ein Fisch an meiner Brust zappelte, und ich sie noch fester hielt.
    Wieso ich nicht darauf achtete, ob sie Luft bekam.
     
    Es war Nacht in der Wüste. Ich kann mich nicht erinnern, ob der Mond schien.
    Ich erinnere mich nicht an den Aufprall, als wir am Boden aufschlugen. Ich erinnere mich nur an einen grellweißen Blitz, der uns umfing, wie Strahlen von tausend Sonnen. Wir wurden durchscheinend, geisterhaft, fast körperlos. Dann erlosch das Licht und wir mit ihm.
    In weiter Ferne heulte ein Kojote.
    Es war kalt, doch anfangs spürte ich es nicht. Meine Brust war so fest eingeklemmt, dass ich mich nicht bewegen konnte. Mein rechter Arm steckte zwischen meiner Brust und der Instrumententafel fest. Ich versuchte, mich mit Hilfe meines linken Arms zu befreien. Die erste Woge des Schmerzes wallte von unterhalb der Taille auf, und ich verlor das Bewusstsein.
     
    Mein Hemd war vorn ganz feucht. Etwas Klebriges sickerte langsam durch den Stoff, bis meine Brust vollkommen nass
war. Es trocknete im Laufe der Nacht. Der Stoff klebte an meiner Brust.
    Immer wieder ging meine linke Hand im Verlauf der Stunden zu diesem feuchten Fleck. Sie tat es wie von selbst, während ich halb bewusstlos dalag und immer wieder im Delirium versank. Dann blühte die Qual in meinem Gehirn auf wie eine endlose Folge schimmliger Flecken: zornige, leuchtend rote Pilze des Schmerzes, einer nach dem anderen. Ich riss mich mit Gewalt ins Bewusstsein und nahm meine Hand weg. Da spürte ich den Schmerz bei vollem Verstand und begriff die absolute und unerträgliche Macht, die der Schmerz über den Verstand hat, wenn dieser bei vollem Bewusstsein ist.
     
    Kurz vor Morgengrauen hatte meine Hand schließlich gewonnen. Sie bewegte sich genau dorthin, wo ich sie nicht haben wollte. Ich spürte, wie meine Finger nach dem zerquetschten Brei aus Fleisch, Knochen und winzigen Organen tasteten – dem Es, das früher eine Sie gewesen war …
    Ihr übergroßer Kopf – eingeklemmt, zerdrückt zwischen meinem Körper und dem Metall …
    Zerbrochen wie ein Ei …
    Ihr Schädel, die zarte Eierschale, geborsten …
    Mein Schmerz und ihrer, derart vermischt, dass er wie eins war, füllte meine leere Lunge. Ich heulte ihn in die Wüstennacht hinaus und sog ihn gleich wieder in mich auf. Und schrie und schrie noch mehr.
    Die Kojoten antworteten mit ihrem Geheul, bis die ganze Wüste von unseren Schreien widerhallte.
     
    Julian?
    Wir haben es getan, sie und ich.
    Wir haben die Scheibe nach New Mexico geflogen. Wir haben
die Zeit entwirrt. Sie entsponnen. Sie

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