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Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Titel: Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Halperin
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verurteilt, bevor ich an diesen Ort der Qualen kam. Ich war verdammt, ja, und ich empfand unerträglichen Schmerz. Aber es gab keinen Richterspruch. Den gibt es nie.
    Die Lampe leuchtet über meinem Schreibtisch. Das Tagebuch liegt offen vor mir. Es ist ein warmer Abend, Anfang September. Ich habe weder Mathe noch Physik oder Englisch angerührt. Immer noch erwarte ich, dass mich jemand – sanft oder ärgerlich – daran erinnert, dass es schon nach Mitternacht ist und ich morgen früh zur Schule muss. Aber das tut niemand. Manchmal höre ich meine Mutter im Haus herumwandern, wie sie es immer getan hat, doch das kann nicht sein, ich bilde es mir nur ein. Im Schlafzimmer nebenan schnarcht mein Vater. Er muss wohl irgendwann im Sommer wieder dort eingezogen sein, nachdem sie gestorben war. Oder nachdem man sie ins Krankenhaus gebracht hatte.
    Ich schreibe:
    Zuerst war da die Fahrt im Lastwagen. Dann das Gebäude mit den hohen Decken, in das man uns brachte. Dann fuhren wir mit dem Fahrstuhl, abwärts, abwärts, abwärts, tief in die Erde, dann auf Bahren durch endlose, geflieste Flure. Da gab es nirgends einen Richter. Man sprach nicht einmal mit uns.

    Sie legten uns auf den Tisch, unter das weiße Neonlicht. Sie befestigten ein Schildchen an meinem Handgelenk und ein anderes an ihrem. Ich konnte nicht sehen, was auf den Schildchen geschrieben stand. Dann trennten sie uns, doch nicht wie man Schafe von den Ziegen trennt. Wir wurden einfach nur getrennt. Sie legten sie in ein Kühlfach, mich in ein anderes. Sie schlossen das Kühlfach, und um mich war Finsternis. Ich dachte, ich würde sie auf der anderen Seite wiedersehen. Doch es gibt keine andere Seite der Finsternis.
    Es gibt nur verqualmte Luft und den brennenden, blutigen Pfahl, der durch meinen Körper geht und durch meine Kehle und sich mit seinem spitzen Ende in meinen Gaumen bohrt. Und die flachen Hügel um mich herum, geschwärzt von dunkelroten Flammen.
     
    Jetzt weiß ich, wer sie sind, die drei Männer in Schwarz. Ich wusste es im selben Moment, als mein Vater die Worte Mom ist tot ausgesprochen hatte, deren Düsternis den Wagen erfüllte, die Scheinwerfer und Neonschilder verfinsterte und sogar sein Gesicht hinter dem Lenkrad schwärzte. Und ich wusste: Sie haben gewonnen.
    Sie gewinnen immer.
    Jedes Leben endet mit ihrem Sieg.
     
    Sie legten mich auf den Tisch und zogen mich aus. Sie schälten den Stoff von meinem entstellten, zertrümmerten Leib.
    »Es ist tot«, sagte das Narbengesicht.
    »Was meinst du mit ›es‹?«, erwiderte der mit den Hasenzähnen. Er zeigte mit dem Finger zwischen meine Beine. »Es ist ein ›Er‹.«
    »Es ist ein ›Es‹!«, schrie das Narbengesicht. »Wenn du mir nicht glaubst, sieh dir die Augen an!«
    Der dritte Mann versuchte, mir seine Nadel ins Auge zu stechen.
Es hatte keinen Zweck. Meine Augen waren hart wie Muschelschalen, die nach einem Sturm am Ufer liegen.
    »Jetzt sieht er so richtig schön bescheuert aus, oder?«, sagte der mit den Hasenzähnen.
    »Mit einem Lächeln würde er besser aussehen«, erklärte das Narbengesicht. »Mal sehen, ob wir ihm nicht ein Lächeln verpassen können.«
    Sie versuchten, mit ihren Fingern meinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen. Es ging nicht. Mein Mund war starr im Tod. Er war kleiner geworden, und die Lippen waren schmaler. Nur meine Augen hatten sich vergrößert, waren zu Ovalen angeschwollen, die fast mein ganzes Gesicht einnahmen.
    »Sie fliegen diese verdammten Scheiben über den ganzen Himmel«, sagte das Narbengesicht. »Aber sie sehen dermaßen idiotisch aus. Wie erklärst du dir das, hm?«
    Der mit den Hasenzähnen wandte sich dem dritten Mann zu. »Hast du dein Rasiermesser dabei?«, fragte er.
    »Was willst du mit einem Rasiermesser?«
    »Sehen, ob wir ihm nicht ein hübsches Lächeln verpassen können«, sagte der mit den Hasenzähnen.
    … und ich hätte mich vor Schmerz gewunden, in Erwartung ihres Messers, nur dass ich schon tot war und die Toten sich nicht rühren können, auch wenn wir alles fühlen, alles …
    »Nein, lieber nicht«, sagte das Narbengesicht und hob seine große Hand. »Wenn sie das Kühlfach aufmachen und sehen, dass wir an ihm herumgeschnippelt haben, gibt es Ärger. Und wir wollen doch keinen Ärger, oder?«
    Also fügten sie mir keine Schnitte zu, die man hätte sehen können. Stattdessen standen sie um den Tisch herum, auf dem ich lag, und murmelten feierlich mit Blick auf mein Gesicht: NARR. NARR. NARR. Sie nahmen den Stern,

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