Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Mondschein.
»Nimm deine Brille ab«, sagte Tom. »Dann geht es besser. Stell das Okular scharf. Das gleicht die fehlende Brille aus.«
Ich nahm meine Brille ab und probierte es noch einmal. Ich spürte, wie meine Wimpern über die Linse strichen, wenn ich zwinkerte.
»Versuch, deine Augen zu entspannen«, sagte Tom. »Dann siehst du besser. Ich könnte die Lampe abdecken, wenn sie dich stört.«
Ich drehte das Okular erst gegen den Uhrzeigersinn, dann mit ihm. Krater und Gebirgskämme schienen sich aus dem verwaschenen Fleck herauszubilden und dann wieder darin zu verschwinden. Schließlich fand ich die richtige Einstellung. Mit geradezu gespenstischer Klarheit bildeten sich die Konturen heraus. Ich hatte keine Ahnung, welchen Teil des Mondes ich betrachtete.
»Ich glaub, ich hab’s«, sagte ich.
»Gut«, erwiderte Tom. »Was siehst du?«
»Da sind zwei große Krater. Der linke sieht um einiges tiefer aus als der rechte. Da sind eine Menge kleiner Pockennarben drum herum, besonders beim linken.«
»Gut. Noch was?«
»So etwas wie … wie ein W, glaube ich. Unterhalb des rechten Kraters. Wenn das Ganze auf dem Kopf stünde, könnte es eine geschwungene Augenbraue sein. Mit den beiden Kratern als Augen.«
»Gut«, sagte Tom. »Sehr gut. Diese Augenbraue – das W – ist das Schrötertal. Der Krater, unter dem dieses Tal liegt, ist Herodotus. Der linke ist Aristarchus. Und das Ganze steht tatsächlich auf dem Kopf. Alles, was du durch ein Teleskop siehst, steht auf dem Kopf. Wusstest du das?«
»Wusste ich nicht.«
»Siehst du irgendwas im Aristarchus?«
»Irgendwas mittendrin, glaube ich. Sieht sehr hell aus.«
»Das ist der Berggipfel in der Mitte. Viele Krater haben
einen. Du bist ein verdammt guter Beobachter, weißt du das?«
»Danke«, sagte ich und merkte, dass ich angesichts des Kompliments vor Freude unfreiwillig rot wurde.
»Noch was?«
»Ein paar Linien oder Adern, glaube ich, die von der Mitte des Kraters nach außen verlaufen. Und da ist … Moment mal.«
Im Aristarchus ging etwas vor sich, das selbst ich als außergewöhnlich erkannte. Direkt innerhalb des Kraterrands, oben links, war plötzlich ein winzig kleiner, hellroter Punkt aufgetaucht. Während ich ihn beobachtete, erblühte er zu einer leuchtend roten Kugel, ganz ähnlich dem Blutstropfen, der am frühen Abend aus meiner Fingerspitze gequollen war. Ich wartete, dass er platzen, verlaufen und den Kraterboden mit Blut überfluten würde. Doch nichts geschah. Der Tropfen – oder was es auch sein mochte – blieb stabil.
»Das gibt’s doch nicht …«, sagte ich. »Das gibt’s doch gar nicht!«
»Was? Was?«
»Ein leuchtend roter Punkt. Oder eine Kugel vielleicht, da bin ich mir nicht sicher. Hat sich eben am Rand des Kraters gebildet. Willst du sehen?«
»Nein. Bis ich das Okular eingestellt habe, ist es vielleicht nicht mehr da. Du musst es im Auge behalten. Pass gut auf, damit du dir genau merkst, was du siehst.«
»Jetzt verblasst es langsam.«
»Okay, okay.« Ich hörte, wie sein Kugelschreiber etwas ins Notizbuch kritzelte. »Verdammt, ich hab nicht aufgeschrieben, wann du es zuerst gesehen hast. Wie lange siehst du es jetzt schon?«
»Ich bin mir nicht sicher. Kaum mehr als eine Minute, würde ich sagen.«
»Und es verblasst, sagst du?«
»Inzwischen ist es so gut wie weg.«
»Dann ist die Show wohl zu Ende.«
Ich richtete mich vom Okular auf und streckte mich. »Da drüben an der Wand steht ein Stuhl«, sagte Tom. »Falls du dich setzen möchtest.«
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. Ich war erschöpft, als hätte ich gerade etwas mit ansehen müssen, dessen Anblick mich meine ganze Kraft gekostet hatte. Rochelle stand im Eingang, im Licht des Mondes. »Danny hatte eine Sichtung?«
»Erste Sahne«, sagte Tom.
»Was war das?«, fragte ich sie.
Ich weiß nicht, wieso ich davon ausging, dass sie es wusste.
Sie zuckte mit den Schultern. »Die Erde bildet Blasen«, sagte sie, »wie das Wasser, und diese mögen davon sein.«
»Bitte?«
»Macbeth. Erster Akt, Dritte Szene. Haben wir letzten Monat in Englisch durchgenommen.«
»Und der Mond hat sie auch?«
Sie antwortete nicht. Ihr Blick schweifte in die Ferne.
»Wieso gehen wir beide nicht ein Stück spazieren?«, sagte sie zu mir. »Im Mondschein.«
Sie trat an das Geländer. Ich wollte ihr schon folgen, doch dann blieb ich stehen.
»Komm mit«, sagte sie. »Wovor hast du Angst? Dass ich dich runterschubse?«
Der Gedanke war mir wohl
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