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Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel

Titel: Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Halperin
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mir im Auto, so wie es hätte sein sollen. Ich knurrte nur und hoffte, er würde mich in Ruhe lassen.
    »Komm schon, das musst du jetzt sagen. Du kannst mich nicht so hängen lassen.«
    »Meine Güte, Julian!« Es war dumm zu schreien. Ich war erschöpft von der langen Fahrt und genervt. Ich versuchte, meine Stimme zu zügeln. »Zwei Tage nach diesem Tanz hat sie ihrer Mutter einen Haufen Geld geklaut und ist nach Florida getrampt. Um bei ihrem Vater zu sein, glaube ich. Oder vielleicht …«
    In der letzten Unterrichtswoche erfuhren wir, was passiert war. Bis zum Ferienbeginn konnten wir über nichts anderes reden. Es kamen Gerüchte auf, es gäbe da jemanden, zu dem sie nach Florida gefahren sei – einen Jungen aus der Nachbarschaft, älter, siebzehn oder achtzehn. Aus Braxton.
    »Wann kam sie wieder?«, fragte Julian.
    »Sie kam nie wieder.«
    Das Schild Jacksonville 14 Meilen flog vorbei. Ich sah zu Julian hinüber und merkte, dass er mich anstarrte. »Es war nicht meine Schuld«, sagte ich. »Es lag an ihrer Mutter. Die Frau hat wie eine Irre mit einem Gürtel auf sie eingeschlagen, mit der Schnalle. Jahrelang. Einmal hat sie ihren Rock hochgezogen – dieses Mädchen, meine ich – und es mir gezeigt.«
    »Was gezeigt?«
    »Die Striemen. Von den Schlägen.«

    Außerdem die anderen Stellen, die ich für Brandwunden von Zigaretten hielt, obwohl Rosa davon nie etwas erzählt hatte. »Es war nicht meine Schuld«, erklärte ich erneut.
    »Natürlich nicht. Wer hat denn gesagt, dass es deine Schuld ist? Du hast doch nur von ihr geträumt, oder?«
    Ja. Ich träumte nur. Manchmal normale Träume, manchmal feuchte. Und als es Zeit wurde, etwas zu unternehmen, und sie vor mir stand und Tanzen ? sagte, konnte ich nur einen dummen Spruch reißen. Das Zeug rühr ich nicht an, sagte ich, und sie lachte, als sei das möglicherweise lustig, drehte sich um und marschierte davon, steif und zielstrebig, und ich dachte an diese Beine unter ihrem Sommerkleid und daran, wie wohlgeformt sie waren. Ich habe sie nie wiedergesehen.
    Jeff und ich redeten über sie in der ersten Ferienwoche. Es war das letzte Mal, dass wir zusammen mit unseren Rädern unterwegs waren. Während des Gesprächs wurde mir bewusst, wie viel ich bei diesem Tanz verloren hatte, und dass ich es nie wiederbekommen würde. Ich stand vor ihm und fing an zu weinen. Ich versuchte, es zu verhindern. Ich konnte es nicht. Jeff lachte, wie ich es schon erwartet hatte.
    Wieso heulst du denn jetzt hier rum, du Jammerlappen? Ich hatte sie gern! Du hattest die Hosen sogar zu voll, um mit ihr zu tanzen, als sie dich aufgefordert hat!
    Das hätte er nicht sagen sollen, und ich schrie ihm Sachen ins Gesicht, die ich nicht hätte sagen sollen. Später habe ich mich dafür entschuldigt, und er meinte, es wäre okay. Aber das war es nicht. Als ich ihn anrief, um zu fragen, ob wir mit den Rädern loswollten, meinte er, er hätte zu viel zu tun. Immer hatte er zu viel zu tun. Und ich habe keinen Freund mehr.
     
    Ich saß am Steuer, als Julian und ich auf unserer Fahrt in den Süden nach Washington kamen. Es herrschte Feierabendverkehr.
Ich weckte ihn, um zu fragen, ob ich nicht anhalten sollte, damit er weiterfuhr.
    »Warum sollte ich das tun?«, sagte er und schlief wieder ein.
    Also schlängelte ich uns durch das Verkehrslabyrinth, von einer Spur zur anderen, ließ den Außenspiegel kaum aus den Augen. Es gab keinen einzigen »Moment der Unachtsamkeit«. Irgendwie schaffte ich es, uns heil durchzubringen. Julian wachte kein einziges Mal auf.
    Um die Hitze zu meiden, fuhren wir von Virginia an nachts und schliefen tagsüber. Selbst bei Nacht kühlte es kaum ab. Wir fuhren mit offenen Fenstern, um so viel Wind wie möglich einzufangen.
    Bei jedem Halt in Florida warf ich einen Blick in das örtliche Telefonbuch, um nach dem Namen Pagliano zu suchen. Wobei ich immer darauf achtete, dass Julian mich nicht sehen konnte. In Jacksonville fand ich dann einen Eintrag für Pagliano, Joseph. Ihr Vater vielleicht? Als Julian unter der Dusche stand, rief ich von unserem Motelzimmer aus an.
    »Ja?«
    »Könnte ich bitte mit Rochelle sprechen?«
    »Rochelle?«
    »Rosa. Verzeihung … ich meinte Rosa. Ist sie da?«
    Was hätte ich gesagt, wenn sie ans Telefon gekommen wäre? Hätte ich ihr erklärt, dass ich jüdisch bin und sie nicht und dass ich deshalb nicht mit ihr tanzen konnte, weil meine Mutter krank ist und ich nichts tun möchte, was sie noch kränker macht? Rosa wusste schon

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